Über das Absurde
Die Absurdität entspringt zwei Quellen: dass etwas ist, und nicht nichts; und dass das ist, was ist. Von einem rationalen Standpunkt betrachtet ist diejenige, die von ersterer ausgeht, weit ungeheurer: Denn dass etwas ist und nicht nichts, ist der unnatürlichste Zustand überhaupt. Nähme man aber an, er wäre natürlich, und setzte die Existenz von etwas schon voraus: So wäre es einsichtig, dass es irgendetwas ja sein muss, auf das die Existenz fällt, und sie auf dieses genauso gut wie jenes fallen kann. Jedoch dem Ich, das die Welt betrachtet, drängt sich oftmals viel eher die Absurdität der zweiten Art auf: Denn da zu dieser Betrachtung die schiere Existenz von etwas unabdingbar ist, neigt es dazu, diese als natürlich vorauszusetzen. Dass es eine Welt gibt, hinterfragt es darum nicht. Doch umso quälender ist ihm die Frage, warum es denn nun gerade in diese Art von Welt geworfen sei. Warum es, da es doch unzählige ihm äußerlich ähnliche Wesen um sich herum erblickt, ausgerechnet in diesem einen seinen Sitz habe. Ihm schwindelt schon, wenn es sich nur deren ungeheure Zahl vorstellt; doch ist diese nichtig im Vergleich zu der Anzahl der Welten, verschieden von der tatsächlich existierenden, die es sich überhaupt vorzustellen vermag. Und selbst deren Menge wiederum ist eingebettet in eine Unendlichkeit von möglichen Welten, die ein unendlicher Verstand denken könnte. Bestimmte sich die tatsächliche Wirklichkeit durch Zufall aus der Menge der möglichen Wirklichkeiten: So wäre die Wahrscheinlichkeit, dass das ist, was ist, null. Und doch ist es: Darin besteht die Absurdität der Wirklichkeit. Vom Standpunkt des Mathematikers aus betrachtet ist es offensichtlich, dass ein Ereignis, dessen Wahrscheinlichkeit null ist, eintreten kann, sofern die Anzahl an möglichen Ereignissen unendlich groß ist; und doch ist es für das empfindende Ich absurd.
Über lange Zeitläufte kann sich das Ich an eine gegebene Wirklichkeit gewöhnen und dazu kommen, ihre Beschaffenheit als natürlich anzusehen. Dies kann aber nicht verhindern, dass immer wieder Augenblicke kommen, in denen das Gefühl der Absurdität das Ich mit Gewalt überfällt und die langwierig entwickelte Abstumpfung gegenüber dem Absurden hinwegfegt. Oft sind dies Momente, in denen tatsächlich sich die Wirklichkeit ganz heterogen zu ihrer gewohnten Form darstellt; jedoch genauso gut kann die Absurdität des Daseins dem Ich in den alltäglichsten Situationen schlagartig bewusst werden. Dann erscheint all das Wohlbekannte und Vertraute mit einem Male ganz fremd und das Dasein absurd. Dies schließt insbesondere ein, dass die Handlungen, die das Ich sonst mit großem Eifer und in voller Überzeugung von ihrer Sinnhaftigkeit ausführte, plötzlich als gänzlich nutzlos und wertlos erkannt werden. Denn dies ist einer der verstörendsten Aspekte des Absurden: Die Welt besitzt keinen teleologischen Charakter. Stattdessen ist das Wesen der Dinge und Vorgänge darin durch und durch tychäisch, das ist beliebig und zufällig, sie sind allesamt ohne einen tieferen Grund oder finalen Zweck da.
Dies ergibt sich schon aus den allgemeinsten Überlegungen: Denn ein Zweck oder Grund von etwas ist immer nur in Bezug auf ein anderes denkbar, so wenn eine Handlung, ein Gegenstand oder eine Einrichtung einem bestimmten Ziele dienen, welches von diesen selbst verschieden sein muss. Zu jedem vermeintlich sinnvollen, das ist finalen Zweck besitzenden Ding oder Vorgang in der Welt muss dann eine Kette von Zweckrelationen konstruiert werden, welche jedoch zwangsläufig irgendwo abbricht. Denn sie muss auf der endlichen Menge an Entitäten konstruiert werden, die in der Gesamtheit des Wirklichen vorhanden sind. Das Wirkliche an sich aber besitzt in absurder Weise seine konkrete Gestalt, ganz zu schweigen von der noch größeren Absurdität, dass es überhaupt da ist; sodass es auch abwegig erscheint, eine Entität darin als legitimen Endpunkt einer Kette an Zweckrelationen anzuerkennen in dem Sinne, dass das Fehlen ihres eigenen Zweckes nicht dagegen spricht, den vorigen Gliedern Sinn zuzuerkennen. Deshalb besitzt zwar vieles in der Welt relativen Zweck in Bezug auf ein anderes, nichts aber finalen Zweck, das ist absolute, letztgültige Sinnhaftigkeit; und diese ist die einzige, die zählt. Denn bloß relativer Zweck ist vergleichbar den sich gegenseitig auf das Beste tragenden Ziegelsteinen in einer Mauer, die in einem Sumpfe steht.
Das Schreckliche aber an dieser tychäischen und sinnlosen Natur alles Wirklichen ist, dass der Mensch – und in einem Menschen hat das Ich seinen Sitz – durch und durch ein Zoon teleologikon ist; das ist dass er zutiefst das Bedürfnis besitzt, in seinem Handeln und Trachten, in seinem Schaffen und Streben, ja in seinem Dasein an sich einen Sinn zu sehen. Sicherlich besitzen dieses Bedürfnis nicht alle in gleichem Maße, doch fast niemandem ist es gänzlich unbekannt und zahllos sind andererseits jene, bei denen es in übersteigerter und fast schon wahnhafter Weise besteht, welche ihr ganzes Leben mit dem größten Eifer in den Dienst einer Idee, eines vermeintlichen finalen Zwecks stellen. Nichts ist darum falscher als jenes „Wir müssen uns Sisyphos als glücklich vorstellen“: All jene abgezogen, die schlimmste Schmerzen leiden oder im Elend leben, müssen wir uns Sisyphos vielleicht sogar als einen der unglücklichsten Menschen überhaupt vorstellen.
Doch andererseits, gleichen wir ihm nicht alle? Denn sinnlos und absurd ist dem bisher Gesagten zufolge schließlich die Welt an sich und jedes Leben darin. Ja und nein. Dass die Handlungen eines jeden letztlich genauso sinnlos sind wie das Hinaufrollen des Steins auf den Gipfel durch Sisyphos, ist zweifellos richtig. Der entscheidende Unterschied aber besteht darin, dass das nicht so offensichtlich ist wie im Falle des Sisyphos. Das mag banal und irrelevant erscheinen, ist es aber keineswegs. Denn der menschliche Verstand ist träge und tut sich oft schwer darin, einer Kette von Zweckrelationen bis zu ihrem Ende zu folgen; und noch häufiger geschieht es, dass er es sich selbst zum Schutz vor Verzweiflung verbietet. Es gibt darum viele Menschen, und es sind oft die Einfältigeren, denen die Sinnlosigkeit ihres Lebens überhaupt nie bewusst wird; doch zahlreich sind auch jene, denen diese durchaus bewusst ist, die sie jedoch zu verdrängen und in den Hintergrund zu schieben wissen. Damit das aber möglich ist, darf sich die Sinnlosigkeit offenkundig nicht in derart krasser Weise aufdrängen wie in den Lebensumständen des Sisyphos.
In der empirischen Realität ist dies bei den einzelnen Menschen in unterschiedlichstem Maße der Fall. Bei manchen ist es nötig, eine sehr lange und verzweigte Kette an Zweckrelationen nachzuverfolgen, um die Sinnlosigkeit ihres Wirkens nachzuweisen: Etwa großen Wissenschaftlern und Erfindern, deren Entdeckungen Millionen zugute kommen und auf lange Zeit mit ihrem Namen verknüpft bleiben; oder bedeutenden Künstlern, deren Werke viele Generationen immer wieder aufs Neue inspirieren, anregen und glücklich machen; oder politischen Figuren, welche ganze Völker aus der Unterdrückung befreien oder auch nur langfristige gesellschaftliche Verbesserungen in einem Land erreichen. Bei anderen hingegen ist sie sehr kurz oder gar nicht erst vorhanden: Etwa einem, der eintönige Arbeit verrichtet, die für niemanden von Nutzen ist; oder der in seinem Leben überhaupt nicht schafft und wirkt. Die große Mehrheit liegt, wie so oft, zwischen diesen Extremen: Sie geht einer Arbeit nach, welche nicht nur dem eigenen Unterhalt dient, sondern auch einen bescheidenen Nutzen für andere besitzt; bringt sich womöglich außerhalb der Arbeit in gesellschaftlichen Einrichtungen ein; zeugt Kinder und wendet große Mühen für deren Unterhalt auf. Sie strebt und trachtet, erschafft und baut, müht sich und leidet, damit ihr Dasein einen noch so geringfügigen Zweck enthalte, damit es sinnerfüllt sei. Und doch sind alle diese Mühen vergebens, für jeden Menschen: Das Leben des Künstlers, der unvergleichliche Meisterwerke schafft, ist genauso inhaltsleer und absurd wie dasjenige des einfachen Arbeiters, der Gebrauchsgegenstände schafft. Das Wirkliche ist schlicht und einfach für sich da, und die Sinnsehnsucht der Wesen darin bleibt unerfüllt.
Doch warum halten wir dann für wichtig, wie offensichtlich die Sinnlosigkeit eines Lebens ist? Um darauf Antwort geben zu können, müssen wir die verwickelte Beziehung der Idee des Sinns zu demjenigen Phänomen untersuchen, welches wir in der Solipsistischen Ethik mit dem Begriff der Gutheit benannt haben, wiewohl es für unsere gegenwärtigen Zwecke genügt, es als Glücklichkeit, Wohlergehen oder griechisch Hedone, welches es wohl am besten trifft, zu charakterisieren. Das Gefühl, dass das eigene Tun sinnvoll ist, erzeugt Gutheit, denn das Zoon teleologikon, welches der Mensch ist, ist glücklich, wenn es vermeint, sein Dasein sei zu etwas da. Dabei handelt es sich um „höhere Gutheit“, das ist solche, die erst verfolgt wird, wenn die „niedere Gutheit“, welche im körperlichen Wohlergehen besteht, erreicht ist. Wer dem Verhungern oder Erfrieren nahe ist, wer schwer erkrankt ist oder Gewalt erfährt, bekümmert sich meist wenig um den Sinn seines Lebens. Ist das rein körperliche Wohlergehen aber einmal erlangt, so wird dieser umso wesentlicher für die Glücklichkeit. Somit ist es in Bezug auf die Glücklichkeit von großer Bedeutung, wie offensichtlich die Sinnlosigkeit eines Daseins ist. Wem es gelingt, die Fiktion aufrechtzuerhalten, sein Handeln sei zu etwas gut, lebt glücklicher.
Dies ist die eine Sichtweise auf die Beziehung zwischen Sinn und Glücklichkeit. Eine zwar letztlich falsche, jedoch verlockende und nicht ganz abwegige alternative Betrachtungsart indes dreht deren Verhältnis geradezu um: Denn dadurch, dass sich die Glücklichkeit als unmittelbar erstrebenswert aufdrängt, erscheint sie auch als ein berechtigter Endpunkt einer Kette von Zweckrelationen, das ist was immer – direkt oder indirekt – Glücklichkeit erzeugt, wäre sinnvoll. In der Tat besitzt die Gutheit einer gegebenen Wirklichkeit die ganz und gar erstaunliche Eigenschaft, dem Gefühl der Absurdität, welches die Beliebigkeit ebendieser Wirklichkeit vor dem Hintergrund der unendlichen Zahl möglicher Wirklichkeiten hervorruft, bis zu einem gewissen Grade entgegenzuwirken, indem sie eine affektive Bindung erzeugt zwischen dem Ich und der Wirklichkeit, in der es sich vorfindet. Diese auf den ersten Blick banal erscheinende, in Wahrheit aber äußerst bemerkenswerte Tatsache verleiht der Glücklichkeit eine herausragende Rolle und Bedeutung. Und dennoch können wir selbst dem Streben nach Glücklichkeit keinen letztgültigen Sinn zusprechen. Der Grund dafür ist die ephemere, vergängliche Natur aller Glücklichkeit. Das stete, unerbittliche Fortschreiten der Zeit vernichtet jeden glücklichen Augenblick und dessen Gutheit. Zwar können auf einen vergangenen, in das Dunkel des Nichtseins zurückgekehrten Moment voll Glücklichkeit wieder andere folgen; doch da die Welt und das Leben, in welche das Ich geworfen ist, endlich und beschränkt sind, ist auch die mögliche Menge an glücklich verbrachter Zeit endlich und es existiert notwendigerweise ein glücklicher Augenblick, der keinen Nachfolger mehr besitzt. Das Streben nach dem ephemeren Gut der Glücklichkeit können wir darum unmöglich als letztgültig sinnvoll betrachten. Freilich lässt sich eine Welt, in der das Leben und die Glücklichkeit darin unbegrenzt sind, zumindest vorstellen, in welchem Falle dieses Urteil zweifellos überdacht werden müsste. Doch ist eine solche Beschaffenheit der Welt derart weit von der empirischen Realität entfernt, dass wir diesen Fall nicht weiter betrachten wollen. Im Folgenden sei dennoch der herausgehobenen Stellung der Gutheit und ihrer Eigenschaft, unmittelbar erstrebenswert zu sein, dadurch Rechnung getragen, dass Handlungen, die zu Gutheit führen, zwar nicht als sinnvoll, jedoch als immerhin quasisinnvoll bezeichnet seien.
Das Wirkliche und das Dasein des Ichs sind also absurd, seine Handlungen und Bestrebungen – schrecklich für ein Zoon teleologikon – sind sinnlos, und allenfalls die Glücklichkeit ist das Ziel quasisinnvollen Strebens, zu deren Erlangung indes es sich eine scheinbare Nützlichkeit, einen Sinn seiner Tätigkeiten wiederum selbst vorgaukeln muss: Was folgt daraus für die kantische Frage: Was soll ich tun? Camus diskutiert den Selbstmord als Konsequenz aus der Absurdität des Daseins. Dies aber ist ganz abwegig: Der Selbstmord gibt dem Leben keinen Sinn, sondern ist die ultimative Bekräftigung seiner Sinnlosigkeit. Die vielleicht ehrlichste Antwort auf die Frage lautet: verzweifeln. Doch wer fände schon Gefallen an dieser ehrlichsten Antwort? Darum sei hier etwas anderes vorgeschlagen. Wenn ohnehin keine Handlung des Ichs als letztlich sinnvoll betrachtet werden kann, ist es da nicht geboten, eine Stufe hinabzusteigen und das Quasisinnvolle zum Maßstab dessen zu machen, was das Ich tun soll? Ist das höchste Ziel unerreichbar, dann gilt es eben, das zweithöchste anzustreben. In ein absurdes und sinnloses Dasein geworfen, muss das Ich sich also an dasjenige halten – klammern träfe es fast besser –, was als einziges eine gewisse Bindung zwischen Ich und Wirklichkeit darstellt, die einander sonst gänzlich entfremdet sind: die Gutheit, das ist die Glücklichkeit. Sodass die Antwort auf die kantische Frage lautete: Strebe nach Glücklichkeit, da du den Sinn ja doch nicht erlangen kannst. Trotz des ephemeren Charakters des Glücks ist es zweifellos besser, das endliche Dasein glücklich als unglücklich zu verbringen.
Verschiedene Aspekte einer gegebenen Wirklichkeit tragen dazu bei, dass diese gut ist, das heißt das Dasein darin glücklich: einerseits, wie oben ausgeführt, die niedere Gutheit, das ist das körperliche Wohlergehen, andererseits die höhere Gutheit, für welche unter anderem, wie in der Solipsistischen Ethik dargelegt, die Beziehungen zu den Mitgeschöpfen wichtig sind, aber eben auch, da der Mensch ein Zoon teleologikon ist, das Gefühl des Sinns in seinem Leben. Letzteres ist nunmehr nur ein Aspekt des glücklichen Daseins, welches zum obersten anzustrebenden Ziel erklärt ist. Wiewohl ein gewichtiger: Und da ein echter Sinn nun einmal keinem Dasein zukommen kann, bleibt zur Erlangung der Glücklichkeit auf diesem Gebiete nur wenig anderes übrig, als einen zu fingieren. Wie oben bemerkt, muss dem selbst die klarste theoretische Erkenntnis der absoluten Sinnlosigkeit nicht zwangsläufig im Wege stehen, da der menschliche Geist eine bemerkenswerte Fähigkeit besitzt, das eine theoretisch zu erkennen und sich von dem anderen praktisch leiten zu lassen; wiewohl es dem sehr viel besser gelingt, der die Sinnlosigkeit gar nicht erst erkennt. Auch ist, wie ebenfalls oben dargelegt, Sisyphos in Bezug auf diesen Aspekt der Glücklichkeit in sehr viel schlimmerer Lage als einer, dessen Werke mannigfaltige und weit verzweigte Zwecke besitzen, das ist jemandes Lebensumstände sind in dieser Hinsicht ebenfalls von entscheidender Relevanz.
Der Ratschlag, einen Sinn zu fingieren, mag inkonsequent oder gar scheinheilig wirken. Es gibt in der Tat einige wenige Alternativen dazu, die indes auch nicht völlig überzeugen können: Es lässt sich versuchen, diesen einen Aspekt der Glücklichkeit durch andere zu kompensieren, das heißt die Unglücklichkeit ob des fehlenden Sinns auszugleichen mit Glücklichkeit auf anderen Gebieten; was jedoch nicht leicht fällt aufgrund der enormen Wichtigkeit des Sinns für ein Zoon teleologikon. Oder, was Camus vorschlug, man rebelliert gegen seine Natur als Zoon teleologikon und versucht, auf den Sinn zu pfeifen; welches wie jede Rebellion gegen die eigene Natur gewaltige Schwierigkeiten mit sich bringt.
Von derartigen Widersprüchen und unüberwindbar erscheinenden Schwierigkeiten geprägt sind allerdings auch andere Felder, auf denen sich das Streben nach Glücklichkeit vollzieht, etwa die Ethik, wie aus der Solipsistischen Ethik zu ersehen ist. Die Not, in der sich das Ich ob des Sinns in seinem Leben findet, ist deshalb nicht geringer; doch nunmehr, da der Sinn der Glücklichkeit untergeordnet ist, stellt diese nur eine Not von mehreren dar. Soviel also zur kantischen Frage vor dem Hintergrund des absurden Daseins.
Ein Gedanke zur Absurdität sei hier noch vorgetragen. Der Mensch ist nicht nur, aber auch ein Geistwesen: Durch den Verstand ist er in der Lage, die unendlichen Weiten des Geistigen, das ist des prinzipiell Denkbaren zu erkunden und vermag sich deshalb alternative Wirklichkeiten zu derjenigen, in welcher er sich vorfindet, vorzustellen. Gerade durch diese Fähigkeit erst wird er sich der Absurdität des konkreten Daseins, in das er geworfen ist, bewusst, was den Ausgangspunkt unserer Betrachtung darstellte. Und doch ermöglicht sie ihm zugleich auch, die Realität eben dieses elenden Daseins zu übersteigen und sich damit in gewisser Weise gegen dessen Absurdität und Beliebigkeit aufzulehnen. Wenn das Ich mittels des Verstandes in die entlegensten Gefilde der mathematischen Entitäten vordringt und die abstraktesten Objekte untersucht; wenn es die Vorgänge in seinem Dasein zu allgemeinsten Gesetzen abstrahiert und in die dazu gänzlich heterogenen Welten des Größten und Kleinsten fortsetzt; wenn es die Lebensweisen, Sprachen, Ideenwelten und Schicksale der räumlich wie zeitlich entferntesten oder gänzlich fiktiven Menschen nachvollzieht: So handelt es sich dabei immer auch um einen Akt der Rebellion gegen die Konkretheit und Begrenztheit, das ist gegen die Absurdität seiner Existenz. Wiewohl einer Rebellion, die von vornherein zum Scheitern verurteilt ist: Der Verstand vermag zwar die Enge einer gegebenen Konkretheit zu überschreiten, ob seiner Endlichkeit jedoch niemals die Gesamtheit des Geistigen zu erfassen, sodass das Geistige, das er erkundet, immer konkret und beliebig bleibt. Schlimmer noch, da der Mensch nur zum Teil – und vielleicht sogar zum kleinsten – ein Geistwesen ist, findet er sich nach jedem Höhenflug des Verstandes doch wieder in der nichtigen und absurden Wirklichkeit, welche die seine ist.
Ob dieser letzte Gedanke zum Absurden für das Ich eher Trost oder Hohn sei, wissen wir darum beim besten Willen nicht anzugeben.