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Epilegomena zur Metaphysik

Ganz bewusst ist die Schrift Metaphysik in einem formelhaften, erläuterungsarmen Stil verfasst. Solche Erläuterungen zu geben und aufzuzeigen, wie sie zu verstehen sei, ist Ziel der vorliegenden Schrift.

Was wir in der Metaphysik vorlegen, ist eine Philosophie der letzten Konsequenz: Das ist ihr methodischer Anspruch. Was darunter zu verstehen sei, lässt sich am besten an einem Beispiel ersehen: Schon Russell bemerkte, dass die Welt, anstatt sich aus der Vergangenheit gesetzmäßig entwickelt zu haben in der Weise, welche Intuition und gesunder Menschenverstand nahelegen, genauso gut auch gerade erst zu existieren begonnen haben kann. Darauf wird meist in einer von zwei Weisen geantwortet: Entweder wird vorgebracht, dass ein solches Verhältnis unplausibel oder unwahrscheinlich sei; welches Argument gegen sich hat, dass der Wahrscheinlichkeitsbegriff nicht auf die Beschaffenheit der Welt als Ganzes anwendbar ist; oder aber – und dies ist in unserem Zusammenhang aufschlussreich – es wird angeführt, dass eine solche These langweilig, unfruchtbar oder für das praktische Leben ungeeignet sei, was dann erlaubt, sie entweder explizit oder implizit durch Beiseitelegen zu verwerfen. Das aber heißt, dass die Wahrheit einer Aussage auf Grundlage ihrer praktischen Implikationen entschieden wird. Obgleich sich solche Argumentationen bei vielen Philosophen finden, sind sie gänzlich unhaltbar: Denn die Beschaffenheit der Welt, welche sich nicht im Geringsten um das Leben bekümmert, das wir darin führen, ist unabhängig davon, was wir für praktikabel und annehmbar halten. Wir müssen also die Wahrheit von Aussagen allein unter Betrachtung ihrer selbst untersuchen, ohne uns um die praktischen Implikationen unserer Erkenntnisse oder die Einsprüche des gesunden Menschenverstandes zu bekümmern: Das ist der Gedanke der letztkonsequenten Philosophie.

Auf der anderen Seite aber kommen wir nunmal nicht darum herum, ein Leben in der Welt zu führen. Zwar soll der radikale Skeptiker Pyrrhon seiner Lehre auch in der Praxis treu geblieben und etwa nahenden Wagen oder Abgründen nicht ausgewichen sein, weil er die Wahrnehmung für ohnehin unzuverlässig hielt. Doch selbst wenn das nicht erfunden sein sollte, ist sein Beispiel nicht allzu attraktiv. Um ohne Rücksicht auf irgendwelche für die praktische Lebensführung unannehmbaren Folgerungen allein nach der Wahrheit streben zu können, ohne zugleich für verrückt erklärt zu werden, sehen wir darum keinen anderen als den in der Vorrede zur Metaphysik implizit vorgeschlagenen Ausweg: die Annahme und das gleichzeitige Akzeptieren von zwei grundsätzlich unvereinbaren Weltsichten, welche wir dort als metaphysische und immanente Weltanschauung bezeichnen. Erstere ist die eigentliche, letztlich wahre; letztere hingegen diejenige, welche im täglichen Leben zur Anwendung kommt. Dieses Konzept der Stufung der Weltsicht ist durch und durch charakteristisch für unsere Philosophie und wird in anderen Schriften wieder begegnen und noch ausgebaut werden. Zweifellos ist es als inkonsequent angreifbar; jedoch ist es erst die Akzeptanz der immanenten Weltanschauung als Leitfaden für das praktische Leben, die es uns erlaubt, gleichzeitig im Rahmen der metaphysischen Weltsicht bei der Suche nach dem Wahren ans Äußerste zu gehen und diesem in größtmöglicher Radikalität nachzuforschen, welches erst uns zu echten Philosophen macht.

Ein solches Vorgehen führt dabei keineswegs, wie vielleicht zu erwarten wäre, zu einem radikalen Skeptizismus, worunter wir die Ansicht verstehen, dass nichts wissbar sei außer dieser Aussage selbst. Eine solche Ansicht ist sicherlich falsch, da sich einige Aussagen unmöglich leugnen lassen, etwa dass ich existiere oder dass eine Wirklichkeit existiert. Dennoch nähert sich die sich ergebende Weltsicht einem solchen radikalen Skeptizismus zumindest an. Da sie zudem ähnlich zu diesem viele für den gesunden Menschenverstand offensichtliche Tatsachen vehement leugnet, wollen wir sie als quasiskeptisch bezeichnen. Wenn die Benennung unserer Philosophie als letztkonsequent diese also in methodischer Hinsicht charakterisiert, so stellt dies eine inhaltliche Charakterisierung dar.

Des Weiteren wird in der Vorrede zur Metaphysik ein radikaler Dogmatismus proklamiert, das heißt es wird der philosophischen Anschauung die Fähigkeit zugesprochen, absolute, unumstößliche Wahrheiten tatsächlich aufzufinden. Es lässt sich anführen, dass dies unumgänglich ist, da gemäß einem bekannten Trilemma die Alternativen zum Dogmatismus der Zirkelschluss und der infinite Regress sind, welche noch weniger überzeugen können, andererseits aber die völlige Leugnung der Möglichkeit von jedweder Erkenntnis zu einem Selbstwiderspruch führt. Jedoch ist der Dogmatismus kein reiner Notbehelf in misslicher Lage, sondern darin kommt auch unsere große Wertschätzung der philosophischen Anschauung zum Ausdruck, welche – bei der gewaltigen Schwierigkeit, die es darstellt, „in der Bodenlosigkeit einen Grund einzurichten“ – in der Lage ist, zu den apriorischen Wahrheiten selbst vorzudringen. Selbige lassen sich, wie es in der Vorrede geschieht, als absolut, das ist notwendig wahr, als die Axiome schlechthin charakterisieren; wobei letzterer Begriff von seiner gewöhnlichen Bedeutung in der Logik und Mathematik nur den Aspekt einer aus sich selbst heraus ersichtlichen Aussage übernimmt, nicht hingegen denjenigen eines Grundsatzes, aus dem sich andere ebenso wahre Sätze ableiten lassen. Denn in der Metaphysik wird kaum zwischen elementaren und abgeleiteten Wahrheiten unterschieden; allesamt sind sie gleichberechtigt Teil des Gebäudes des absolut Wahren. Soviel zu dem Unterfangen, welches die Metaphysik unternimmt, an sich.

Erläutern wir nun den Inhalt dieser quasiskeptischen Weltsicht näher. Die Ontologie der metaphysischen Weltanschauung ist einfach und unterscheidet nur zwei verschiedene Arten von Sein, welche jeweils in einem eigenen Kapitel behandelt sind: Das Geistes- und das Wirklichkeits-Sein. Alternativ kann man sie als schwaches und starkes Sein bezeichnen, welches sie in anderer Hinsicht charakterisiert. Ersteres ist ein elementares Sein, das allen denkbaren Objekten zukommt; denkbar aber ist jedes Objekt, das nicht in sich widersprüchlich ist. Das geistig Seiende besitzt in gewisser Hinsicht eine platonische Natur, da es zeitlos, ewig, unwandelbar und unabhängig von aller Wirklichkeit ist; wiewohl die platonische Lehre selbst mit der metaphysischen Weltanschauung nur geringfügig übereinstimmt. Denn erstens sind es eben nicht nur einzelne Ideen wie etwa die Idee des Guten oder des Dreiecks, welchen ein geistiges Sein zukommt, sondern prinzipiell ist es alles Denkbare; und zweitens ist das Geistes-Sein das schwache, elementare Sein, das Wirklichkeits-Sein aber das eigentliche Sein, wohingegen Platon gerade umgekehrt den Ideen das eigentliche Sein zusprach.

Das Wirklichkeits-Sein ist dasjenige, welches allem in der Wirklichkeit Vorhandenen zukommt, das ist es stellt jenes Sein dar, welches stets gemeint ist, wenn in der gewöhnlichen Sprache der Begriff des Seins oder der Existenz verwendet wird. Die metaphysische Denkungsart, welche idealistisch ist, verknüpft es mit der Wahrnehmung. Alles Wirkliche ist zugleich auch denkbar und somit geistig: Gleich einem Theaterscheinwerfer, dessen Lichtkegel einen Bereich der Bühne in Helligkeit taucht, holt die Wahrnehmung einen Teil des Geistigen aus der Dunkelheit des schwachen Seins in das Licht der Wirklichkeit.

Dieser Ontologie ähnelt in gewisser Weise die bisweilen vertretene Lehre von den drei Welten, die drei statt zwei fundamentale Seinsarten postuliert: die materielle Wirklichkeit, das Bewusstsein und das Reich der abstrakten Gegenstände. Der Grund, weshalb diese jedoch falsch ist, ist dass die Außenwelt, das ist die materielle Wirklichkeit, und die Innenwelt, das ist das Bewusstsein, beide gleichermaßen Teil der Wirklichkeit sind. Zwar kann man diese Einteilung der Wirklichkeit tatsächlich vornehmen, doch ist sie keinesfalls derart fundamental, dass sie zwei verschiedene Seinsarten konstituieren würde. Beide sind auch gar nicht scharf gegeneinander abgegrenzt, sondern Verstand und Gemüt, aus welchen die Innenwelt besteht, gehen eher fließend in die Außenwelt über. Ja es ist noch nicht einmal gewiss, dass eine solche Zweiteilung jeder möglichen Wirklichkeit eigen sein muss, finden wir sie auch empirisch in der tatsächlichen Wirklichkeit vor.

Die metaphysische Lehre von der Wirklichkeit, das ist der Gesamtheit der Objekte, denen Wirklichkeits-Sein zukommt, lässt sich dreifach charakterisieren: Sie ist radikal idealistisch, radikal solipsistisch, und radikal präsentistisch; wobei sich der Solipsismus und Präsentismus letztlich aus dem Idealismus ergeben. Der radikale Idealismus, welcher von Berkeley in die Philosophie eingeführt wurde, lässt sich in einem zentralen Satz ausdrücken: Wirklich ist, was wahrgenommen wird. Indem er also Wirklichsein und Wahrgenommenwerden miteinander verknüpft, ja gleichsetzt, steht er in Opposition zum Realismus in all seinen Spielarten, dem zufolge Wirklichkeit und Wahrnehmung zunächst einmal auseinanderfallen, sich hinter dem bloßen Wahrgenommenen noch eine „eigentliche“ Realität verbirgt. Diese Ansicht führt – von den Debatten im Theätet, wie wir uns sicher sein können, nicht die gegenwärtige Wirklichkeit in Wahrheit zu träumen, bis in die heutige Zeit – zu zahllosen langwierigen und fruchtlosen Diskussionen über das genaue Verhältnis von Wahrnehmung und Wirklichkeit; wobei sich ironischerweise der naive Realismus, seine extremste Form, in dieser Hinsicht gewissermaßen wieder dem Idealismus annähert; sich von diesem jedoch dadurch unterscheidet, dass er die Wahrnehmung zwar als getreues Abbild der Wirklichkeit ansieht, diese jedoch als unabhängig von jener betrachtet, wohingegen sie für den Idealisten untrennbar verbunden sind und Wirklichkeit nicht ohne Wahrnehmung existieren kann.

Vom idealistischen Standpunkt jedenfalls ist aller Streit über das Verhältnis von Wahrnehmung und Wirklichkeit gänzlich überflüssig. So ist etwa das, was wir im Traum wahrnehmen, genauso wirklich wie das, was wir im wachen Zustand wahrnehmen. Umgekehrt ist aber was wir nicht wahrnehmen auch nicht wirklich: Solange man nicht hinsieht, existiert der Mond nicht. Man mag einwenden, dass eine solche Sichtweise zwar alte philosophische Probleme aufzulösen vermag, aber dem gesunden Menschenverstand widerspricht. Diesen hinter sich zu lassen, ist aber gerade das Programm der letztkonsequenten Philosophie und unumgänglich, um zur Wahrheit vorzudringen.

Aus dem strikten Idealismus ergibt sich nun aber ein ebenso strikter Solipsismus. Dieser wird häufig als eine unwiderlegbare, aber auch unbeweisbare Ansicht bezeichnet und mit der Begründung, eine solche sei gänzlich unfruchtbar, beiseitegelegt. In Wahrheit aber ist nur der erste Teil der Aussage, dass er unwiderlegbar sei, richtig: Denn beweisbar ist er durchaus. Er folgt aus drei sehr anschaulichen Postulaten: dem idealistischen Postulat „Wirklich ist, was wahrgenommen wird“, dem Principium identitatis indiscernibilium und dem Postulat von der Eindeutigkeit der Wirklichkeit, demzufolge ein Objekt entweder wirklich ist oder nicht. Wahrnehmung lässt sich nur als von einer wahrnehmenden Instanz ausgehend denken. Die Aussage des Solipsismus besteht nun darin, dass nur eine einzige solche Instanz existieren kann. Der Beweis ist einfach: Gemäß dem Principium identitatis indiscernibilium muss sich dasjenige, was zwei verschiedene wahrnehmende Instanzen wahrnehmen würden, in mindestens einem Aspekt unterscheiden, das ist es müsste mindestens ein Objekt geben, welches die eine wahrnimmt, die andere aber nicht. Setzt man die wahrnehmenden Instanzen als in zwei Wesen der tatsächlichen Wirklichkeit ansässig an, so unterschiede sich dasjenige, was beide wahrnehmen, in der Praxis sogar stark voneinander. Nach dem idealistischen Postulat aber heißt das, dass dann mindestens ein Objekt zugleich wirklich wäre und nicht wirklich wäre; was wiederum dem Postulat von der Eindeutigkeit der Wirklichkeit widerspräche. Man könnte hier einwenden, dass ja auch die Möglichkeit besteht, dass schlichtweg alles wirklich ist, was von mindestens einer wahrnehmenden Instanz wahrgenommen wird. In einer solchen Sichtweise, die immer noch himmelweit von jedem Realismus entfernt wäre, würden lokale Teilwirklichkeiten, jede einzelne durch die Wahrnehmung je einer wahrnehmenden Instanz konstituiert, nebeneinanderher bestehen und gemeinsam die gesamte Wirklichkeit bilden. Eine solche Ansicht verkennt jedoch den eigentlichen Wesenskern des idealistischen Postulats, welches verstanden werden muss als: Für jede wahrnehmende Instanz gilt, dass genau das wirklich ist, was diese wahrnimmt. Mit dieser Präzisierung wird der Beweis, dass es nur eine wahrnehmende Instanz geben kann, und somit des Solipsismus zwingend. Er kann nur angegriffen werden, indem eines der Postulate angegriffen wird; doch drängen sie sich der Anschauung geradezu auf.

Neben dem Solipsismus hat der Idealismus auch einen strikten Präsentismus zur Folge, das ist der Gegenwart allein wird Wirklichkeit zugesprochen, Vergangenheit und Zukunft hingegen werden als gänzlich unwirklich angesehen. Dies ergibt sich, vermittelst der idealistischen Verknüpfung von Wahrnehmung und Wirklichkeit, aus der Tatsache, dass Wahrnehmung überhaupt nur in der Form der Gegenwart möglich ist und stets nur innerhalb eines Augenblicks besteht. Vermeintlich verhält es sich anders, da wir vermittelst der Erinnerungen und Antizipationen auch die Vergangenheit und die Zukunft wahrnehmen zu können scheinen. Doch in Wahrheit sind beides durch und durch gegenwärtige Erscheinungen, die im jetzigen Augenblick statthaben. Die sich in ihnen widerspiegelnde scheinbare Vergangenheit und Zukunft sind grundsätzlich verschieden von der „echten“, „metaphysischen“ Vergangenheit und Zukunft und brauchen damit nicht notwendigerweise übereinzustimmen. Radikal ist der metaphysische Präsentismus auch insofern, als er nicht nur Vergangenheit und Zukunft das Wirklichsein abspricht, sondern auch die Möglichkeit jedes Wissens über diese „echte“ Vergangenheit und Zukunft verneint; welches sich ergibt daraus, dass wir Wissen allein aus der Wahrnehmung erlangen können, Vergangenheit und Zukunft sich jedoch nicht wahrnehmen lassen.

Dennoch leugnet die metaphysische Weltsicht nicht voll und ganz die Möglichkeit von Zeit; deren Behandlung nimmt den Großteil des dritten Kapitels in der Metaphysik ein. Das Bild des Theaterscheinwerfers wieder aufnehmend, können wir die zeitliche Abfolge verschiedener Wirklichkeiten einem Hinübergleiten von dessen Lichtkegel über die Bühne vergleichen, wodurch ein kleiner Bereich aus der Dunkelheit ins gleißende Licht tritt, nur um sogleich wieder im Dunkeln zu verschwinden. Ebenso mag eine gewisse Menge an Geistigem aus der Dunkelheit in das Licht der Wirklichkeit treten, nur um im gleichen Augenblick wieder in das Dunkel der Nichtwirklichkeit zurückzukehren. Jedoch ist das immer nur etwas Mögliches: Denn da wir Vergangenheit und Zukunft nicht kennen können, vermögen wir auch keine Sicherheit zu besitzen, dass sie überhaupt existieren und nicht der jetzige Augenblick der einzige überhaupt ist.

Die Existenz der Menge des Geistigen, das ist, war oder sein wird, ergibt sich aus dem beschriebenen Verhältnis des „Hinüberstreichens“ des Wirklichseins über das Geistige; sie enthält die „metaphysische“ Vergangenheit und Zukunft sowie das Geistige, welches wirklich ist; was zusammen wirklich war, ist oder sein wird, ist jeweils ein Mengenelement. Die metaphysische Weltsicht ist dabei prinzipiell agnostisch bezüglich der Frage, ob die Zeit ein Kontinuum darstellt oder diskret abläuft: Dies kommt darin zum Ausdruck, dass sie den Elementen der Menge nur ganz allgemein eine untereinander bestehende Vor-Nach-Ordnung zuschreibt, nicht aber postuliert, welche Struktur diese Ordnungsrelation realisiert. Ebenso agnostisch verhält sie sich zu denjenigen Fragen, welche die Grundfragen unserer Existenz darstellen: ob es ein erstes Element gibt, wovor ein Nichts ist, und ein letztes, wonach ein Nichts ist; das ist ob die Welt überhaupt einen Anfang und ein Ende besitzt.

Das letzte Kapitel der Metaphysik, welches die unergründlichen Fragen zum Gegenstand hat, haben wir in der Vorrede als eine Außenmauer des Gebäudes des absolut Wahren bezeichnet; welches Bild hier kaum passender sein könnte: Denn die Aussagen, was prinzipiell und grundsätzlich unwissbar ist, sind selbst von apriorischem Charakter, also dem Gebäude des absolut Wahren noch zugehörig, grenzen es aber gleichzeitig nach außen hin gegen das unermessliche Unwissbare ab. Dieses Unwissbare lässt sich bemerkenswerterweise in nur vier Fragen, eben den unergründlichen, umreißen. Die erste fragt nach der metaphysischen Vergangenheit und Zukunft; die zweite und dritte haben zum Gegenstand, warum etwas wirklich ist und nicht nichts beziehungsweise warum genau das wirklich ist, was wirklich ist; und schließlich bringt die vierte zum Ausdruck, dass wir niemals die Gesamtheit des Geistigen kennen können.

Dabei bezieht sich allein die letzte Frage rein auf das Geistige, während die ersten drei alle in der einen oder anderen Weise die Wirklichkeit zum Gegenstande haben, welches eine Möglichkeit darstellt, die vier Fragen zu klassifizieren. Nähert man sich den unergründlichen Fragen hingegen von der Antwort her, so zerfallen sie auf eine andere Art in zwei Gruppen. Eine Antwort auf die erste Frage ist durch und durch vorstellbar, auch wenn wir diese unmöglich kennen können; sie kann, muss aber nicht unendlich groß sein, was der Fall wäre, wenn die metaphysische Vergangenheit und Zukunft unendlich groß sein sollten; in diesem Falle könnte ein endlicher Verstand sie nicht mehr erfassen, doch die prinzipielle Vorstellbarkeit einer Antwort bleibt dadurch unberührt. Ebenso wäre auf die vierte unergründliche Frage eine Antwort prinzipiell möglich, die wir bloß nicht kennen können; im Gegensatz zur ersten Frage ist diese Antwort hier allerdings zwangsläufig unendlich groß und kann niemals von einem endlichen Verstande gänzlich erfasst werden, sondern allenfalls in Teilen.

Ganz anders verhält es sich hingegen in dieser Hinsicht mit der zweiten und dritten unergründlichen Frage, wodurch sie sich fundamental von der ersten und vierten unterscheiden: Denn auf die Fragen, warum etwas wirklich ist und warum genau dieses wirklich ist, ist eine Antwort noch nicht einmal vorstellbar; es kann auf diese Fragen prinzipiell keine Antworten geben. Anstatt eines echten epistemologischen Mangels kommen in ihnen daher vielmehr unsere fundamentale Ratlosigkeit und unser existenzielles Befremden über das Dasein der Wirklichkeit zum Ausdruck, welches das Innaturalissimum, den unnatürlichsten Zustand überhaupt darstellt. In diesem Zusammenhang ist auch die „atheistische Klausel“ der Metaphysik zu sehen, dass wir uns die Wirklichkeit nicht als von einer schöpferischen Instanz herrührend vorstellen dürfen. Für den Verstand ist dieses Dasein ohne jede Ursache unbegreiflich und ein absurder Zustand, welches sich eben in der unergründlichen Frage widerspiegelt.

Bemerkenswerterweise lässt sich auf die zweite Frage noch nicht einmal in der immanenten Weltanschauung Antwort geben; was erneut für ihre Fundamentalität spricht. Die erste und dritte hingegen sind in der immanenten Weltanschauung zwar nicht vollständig beantwortbar, aber keineswegs unergründlich: Was in der Vergangenheit geschah und in der Zukunft geschehen wird, und wie sich die Beschaffenheit der Wirklichkeit bestimme, das lässt sich dort oftmals bis zu einem erstaunlich hohen Grade angeben.

Was in der Schlussrede zur Metaphysik geschrieben ist, welche kurz die Bedeutung der metaphysischen Sichtweise in Hinsicht auf unsere eigene Existenz diskutiert, mag derweil für sich selbst stehen. Anstatt der Betrachtung solcher Aspekte sei an das Ende dieser Epilegomena eine kurze und prägnante Zusammenfassung der metaphysischen Weltsicht gestellt. Wollte man diese nämlich in einigen wenigen Lehrsätzen angeben, so könnten dies die folgenden sein, mit welchen wir diese Schrift abschließen:

1. Wirklich ist, was wahrgenommen wird.

2. Geistig ist, was gedacht werden kann.

3. Ein einziges Ich nimmt wahr.

4. Nur die Gegenwart ist wirklich.

5. Gedacht werden kann nur, was keine der Eigenschaften besitzt, die es nicht besitzt.

6. Was wahrgenommen wird, kann auch gedacht werden, jedoch nicht alles, was gedacht werden kann, wird auch wahrgenommen. Jedes Objekt ist entweder undenkbar; denkbar und nicht wahrgenommen, das ist nur geistig; oder denkbar und wahrgenommen, das ist geistig und wirklich.

7. Es ist möglich, dass die Wirklichkeit das Geistige, das wirklich ist, verlässt und anderes Geistiges wirklich wird oder die Wirklichkeit endet.

8. Was wirklich war und sein wird, kann nicht erkannt werden.

9. Nicht alles Geistige kann erkannt werden.

10. Warum etwas wirklich ist und warum genau dieses, ist unergründlich.