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Metaphysik

Vorrede

Wenn unser Verstand sich anschickt, die letzten Gewissheiten der Existenz zu ergründen, so mag er wohl ob dieser Aufgabe zu Recht erschauern, denn es ist nichts, worauf er sich dabei stützen könnte, er muss in der Bodenlosigkeit einen Grund einrichten. Was er finden muss, sind nichts weniger als die apriorischen Wahrheiten selbst, die Axiome schlechthin, die unbegründbar und aus sich selbst heraus wahr sind.

Solche Axiome sind zwingend vorhanden, denn auch wenn man behaupten wollte, dass es nichts a priori Wahres gebe, so hätte man doch ein Axiom aufgestellt, nämlich dass außer diesem keine weiteren existieren; folglich existiert notwendigerweise mindestens eine apriorische Gewissheit.

Doch auch wenn wir uns sicher sein können, dass nicht überhaupt keine solche Gewissheit vorhanden ist, wie können wir finden, welche es genau sind? Denn mag uns auch Furcht davor überkommen, in der Bodenlosigkeit einen Grund einrichten zu müssen, so ist das Ergründen der letzten Gewissheiten doch von existenzieller Notwendigkeit.

Letztlich lässt sich kein Vorgehen beschreiben, mit dem man die apriorischen Wahrheiten auffinden könnte, noch ließe sich eine Begründung für sie angeben; das entspringt der Natur der Sache. Wir müssen eben, in letzter Konsequenz denkend, Erfahrung und Intuition völlig hinter uns lassen, um so schließlich zu dem vorzudringen, was aus sich selbst ersichtlich ist. Wenn uns dies gelingt, so kommen wir letztendlich zu dem, was wir das Gebäude des absolut Wahren nennen wollen: die Gesamtheit der apriorischen Wahrheiten, also das, was unumstößlich und mit absoluter Geltung wahr ist. Daneben steht im System unseres Wissens allerdings noch das relativ Wahre; dass dieses an sich wahr ist, ist eine apriorische Gewissheit, jedoch ist sein Inhalt an die Gegenwart gebunden und darum nicht allgemeingültig und apriorisch, weshalb es nicht zum Gebäude des absolut Wahren gehört und nur relativ wahr genannt werden kann – auf dieses Verhältnis werden wir im Laufe dieser Schrift kommen.

Gemeinsam machen das absolut und das relativ Wahre all unser Wissen aus. Es hat aber allein Sinn, das Gebäude des absolut Wahren in diesem Werke darzulegen, und selbst dieses nur im engeren Sinne, denn dazu gehört auch unser Wissen von einigem geistig Seienden – worauf wir ebenfalls später in dieser Schrift kommen werden –, ein Wissen, das prinzipiell beliebig groß sein könnte und für unsere Untersuchung keine Relevanz besitzt; dieses muss ebenso fortgelassen werden. Das Gebäude des absolut Wahren im engeren Sinne, also unter Auslassung der Kenntnis von geistig Seiendem, aber ist die Metaphysik.

Nun muss man allerdings zugeben, dass diese Metaphysik überaus kümmerlich ist, mit diesem wenige Seiten umfassenden Werke ist sie bereits vollständig dargelegt – doch das muss man hinnehmen. Es ist zwar auch nicht der Skeptizismus im Recht, der lehrt, man könne überhaupt nur wissen, dass man außer dieser Gewissheit nichts wissen könne, doch stellen allgemein das Gebäude des absolut Wahren und das relativ Wahre ein ziemlich geringes und wenig reichhaltiges Wissen dar, insbesondere ist es viel geringer als jenes, von dem uns Erfahrung und Intuition glauben machen, wir besäßen es.

Freilich lässt sich auch auf Erfahrung und Intuition eine Weltanschauung errichten, die wir die immanente Weltanschauung nennen wollen; diese umfasst selbstverständlich ein bei weitem größeres Wissen, als es das Gebäude des absolut Wahren und das relativ Wahre darstellen; und tatsächlich nehmen wir sie zumeist als Richtschnur für unser Leben. Sie ist zwar insofern falsch, als sie Wahrheiten außerhalb des Gebäudes des absolut Wahren und des relativ Wahren postuliert oder dazu gar konträr ist; doch nach ihr zu leben, kann gar nicht falsch sein, da sich aus dem Gebäude des absolut Wahren keinerlei Handlungsmaximen ableiten lassen. Ja aus diesem Grunde kommt man gar nicht umhin, das für das praktische Leben Notwendige aus einer anderen Quelle als den apriorischen Gewissheiten zu schöpfen.

Doch mag die immanente Weltanschauung auch der Leitfaden für unser praktisches Leben sein und mag es auch möglich sein, darüber aus Bequemlichkeit niemals hinauszudenken, wie es die meisten tun, so ist das Wissen um das absolut Wahre dennoch von größter Wichtigkeit und das Streben danach Notwendigkeit. Darum machen wir hiermit den Versuch einer Darlegung der Metaphysik.

Unsere Darstellung zerfällt in zwei Hauptteile: Im ersteren wollen wir all unser Wissen in positiver Weise beschreiben. Dabei ist dieser erste Hauptteil wiederum in drei Kapitel untergliedert; die ersten beiden sollen je einem der beiden fundamentalen Seinsprinzipien gewidmet sein: dem Wirklichkeits-Sein und dem Geistes-Sein. In beiden Kapiteln wollen wir Form und Wesen der jeweiligen Seinsart beschreiben und benennen, welches Wissen wir durch sie besitzen. Das dritte Kapitel schließlich hat das Verhältnis von beiden zum Thema.

Die Art des zweiten Hauptteils ist gänzlich davon verschieden: Dort werden wir unser Wissen in negativer Weise definieren, es nach außen hin abgrenzen und benennen, was wir a priori nicht wissen können; dieser Teil stellt damit gleichsam eine Außenmauer des Gebäudes des absolut Wahren dar.

Das Wirklichkeits-Sein

Wirklich ist, was wahrgenommen wird – diese apriorische Wahrheit stellt die grundlegende Beschreibung des Wirklichen dar; sie lässt sein Wesen offensichtlich werden.

In Hinsicht auf die Wahrnehmung bedarf es aber einer näheren Definition: Allerdings nicht der Wahrnehmung an sich, denn sie ist ein axiomatischer Begriff, es ist unmittelbar ersichtlich, was Wahrnehmung ist, sondern ihrer Form und damit auch der Form der Wirklichkeit. Hierbei ist zu unterscheiden in eine innere und eine äußere Form, die wir nun, beginnend mit der inneren, darlegen wollen.

Was also die innere Form der Wahrnehmung angeht, so stellen wir fest, dass der Begriff des Wahrnehmens in sich schon die Notwendigkeit eines Subjekts enthält, er ergibt überhaupt erst im Zusammenhang mit einem solchen einen Sinn; es muss also ein wahrnehmendes Subjekt, eine wahrnehmende Instanz, vorgestellt werden, anders kann keine Wahrnehmung und damit auch nichts Wirkliches gedacht werden.

Nun muss das Wesen dieses wahrnehmenden Subjektes aber dermaßen sein, dass es das absolute und singuläre Subjekt ist, das heißt, es kann außer diesem keine weitere wahrnehmende Instanz gedacht werden. Der Grund ist der folgende: Gäbe es beispielsweise zwei verschiedene wahrnehmende Instanzen, so müssten Objekte vorhanden sein, die von der einen, nicht jedoch von der anderen wahrgenommen würden, denn ansonsten wären sie ein und die selbe Instanz. Für diese Objekte gälte dann, dass sie für die eine Instanz wirklich wären, für die andere aber nicht. Nun ist aber a priori ein Objekt entweder wirklich oder es ist es nicht, wogegen die Vorstellung von mehr als einer wahrnehmenden Instanz verstößt, da dann jene Objekte sowohl die Eigenschaft, wirklich zu sein, besäßen, als sie sie auch nicht besäßen, sie ist also falsch. Dieses singuläre und absolute wahrnehmende Subjekt aber ist das Ich.

Damit haben wir die innere Form der Wahrnehmung beschrieben: Sie muss vereinigt gedacht werden auf ein einziges Ich, dies ist ein a priori gegebenes Charakteristikum der Wahrnehmung und damit der Wirklichkeit.

Wenden wir uns nun ihrer äußeren Form zu: Denn wir stellen fest, dass alle Wahrnehmung a priori auch begrenzt ist auf eine äußere Erscheinungsform, und das ist die Gegenwart oder auch der Augenblick, der Moment; dieses sind axiomatische, nicht weiter erläuterbare Begriffe. Es liegt in der Natur der Wahrnehmung, nur auf einen Moment beschränkt zu sein und über diesen nicht hinausreichen zu können. Zwar scheint sie genau dies zu tun, wenn sie in Form der Erinnerungen und Antizipationen die Gegenwart vermeintlich übersteigt: Doch in Wahrheit sind die Erinnerungen und Antizipationen auch nur ein Teil der Wahrnehmung und werden auch in der Gegenwart wahrgenommen, gehören also doch zu dieser. Jeder vergangene Moment ist nicht mehr wirklich und jeder zukünftige ist es noch nicht; und deshalb können wir keinerlei Wissen über sie haben.

Bestimmen wir nun, welches Wissen uns aus dem Wirklichen erwachse. Zunächst einmal ist dies natürlich das theoretische Wissen über das Wirkliche, also alles, was wir hier dargelegt haben und was dem Gebäude des absolut Wahren zugehört, wie alles metaphysische Wissen jedoch recht kümmerlich ist.

Es entsteht uns jedoch zudem noch ein anderes, viel größeres und reichhaltigeres Wissen daraus: das Wissen nämlich, was gerade in diesem Moment wahrgenommen wird und damit Wirklichkeit ist. Dies ist das bereits in der Vorrede beschriebene relativ Wahre, das a priori zwar wahr ist, aber nur in Bezug auf die Gegenwart und nicht mit Allgemeingültigkeit; es nimmt gewissermaßen eine Sonderrolle im System unseres Wissens ein, macht davon aber einen bedeutsamen Teil aus.

Das Geistes-Sein

Wenn der zentrale Satz der Lehre vom wirklichen Sein ist: Wirklich ist, was wahrgenommen wird; so muss seine Entsprechung für das geistige Sein lauten: Geistig ist, was gedacht werden kann. Dieser Satz ist aber nicht dahingehend zu verstehen, dass nur demjenigen geistiges Sein zukäme, was von unserem eigenen endlichen und beschränkten Verstande gedacht werden kann; stattdessen müssen wir uns die unendliche Menge an geistig Seiendem als die Gesamtheit dessen vorstellen, was von einem hypothetischen unendlichen und unbegrenzten Verstande gedacht werden kann.

Dieser Ausdruck ist axiomatisch und lässt sich nicht weiter erklären; ebenso wie bei der Wahrnehmung können wir nur die Form des Gedachtwerdenkönnens, innerhalb derer es bloß möglich ist, näher beschreiben, und zwar folgendermaßen: Es kann nur das gedacht werden, was keine der Eigenschaften besitzt, die es nicht besitzt; oder umgekehrt formuliert: Es kann nichts mit einer Eigenschaft gedacht werden, die es nicht besitzt. Diese apriorische Wahrheit aber wollen wir den Fundamentalsatz des Seins nennen; denn da alles Wirkliche auch gedacht werden kann – worauf wir später noch kommen werden –, folgt aus ihm, dass auch nichts Wirkliches mit einer Eigenschaft existiert, die es nicht besitzt, er hat also letztlich auch bezüglich des wirklichen Seins, und damit allen Seins, Gültigkeit. Mit ihm ist das Geistige vollständig definiert, er bestimmt seine Gestalt und Struktur.

Von welchem Wesen ist nun aber das geistige Sein, das Sein des Gedachtwerdenkönnens? Denn während das Wesen des Wirklichen als das Wahrgenommene eigentlich unmittelbar ersichtlich ist, ist es hier schwieriger: Allein schon dadurch, dass ein Objekt gedacht werden kann, kommt ihm Sein zu, doch es ist eine gänzlich andere Art von Sein als das der Wirklichkeit: Geistiges Sein ist apriorisches Sein, die Geistesobjekte sind a priori, aus sich selbst heraus existent. Sie sind gleichzeitig ewig, zeitlos und unveränderlich; und sie bilden eine unendliche, unbegrenzte Menge.

Können wir aber dieser apriorischen Geistesobjekte teilhaftig werden, und wenn ja, wie? Die Antwort ist einfach: Wir werden der Geistesobjekte dadurch teilhaftig, dass alles Wirkliche a priori auch gedacht werden kann, also gleichsam eine geistige Entsprechung besitzt; wir können also das Geistige durch das Wirkliche erkennen. Freilich können wir auf diese Weise bloß eines winzigen, gar unendlich kleinen Bruchteils des Geistigen teilhaftig sein, denn das Wirkliche ist endlich, das Geistige aber stellt eine unendliche Menge dar.

Und dennoch erwächst uns so – zusätzlich natürlich zu dem metaphysischen Wissen, das wir darüber haben – aus dem Geistigen ein sogar apriorisches, dem Gebäude des absolut Wahren zugehöriges Wissen: Denn wenn wir geistig Seiendes erkennen, so erkennen wir etwas Ewiges und Apriorisches, das Wissen um dessen Existenz ist darum ein allgemeingültiges und a priori wahres und gehört zum Gebäude des absolut Wahren.

Wir sehen also, dass uns aus unserer Wahrnehmung zweierlei Art von Wissen entsteht: zum einen, wie bereits dargelegt, das bloß relativ wahre, dass das Wahrgenommene Wirklichkeit ist, zum anderen das tatsächlich absolut wahre, dass das Wahrgenommene auch geistig ist.

Das Verhältnis von geistigem und wirklichem Sein

Geistes-Sein und Wirklichkeits-Sein sind die beiden fundamentalen Seinsprinzipien: auf der einen Seite das apriorische, unendliche und zeitlose Sein dessen, was einfach bloß gedacht werden kann, auf der anderen Seite das aposteriorische, endliche und begrenzte Sein dessen, was auch wahrgenommen wird; dieses letztere ist aber, wie bereits erwähnt, nicht unabhängig vom ersteren und ohne Berührpunkt mit ihm, denn es kann a priori alles Wirkliche auch gedacht werden. Diese Beziehung ist eigentümlich: Einerseits ist das Geistige nicht einfach die bloße Abstraktion, die Idee des Wirklichen, denn das Geistige ist a priori, das Wirkliche aber a posteriori, das Geistige kann darum in keinster Weise vom Wirklichen abhängig sein; andererseits ist das Wirkliche auch nicht nur ein Abbild des Geistigen, denn das Wirklichkeits-Sein ist ein viel weitergehendes Sein als das Sein des bloßen Gedachtwerdenkönnens. Man kann es nicht anders beschreiben als eine wirkliche Entsprechung zu einem Teil des Geistigen, das Wirkliche ist wirklich gewordenes Geistiges, jedoch ohne dass das Geistige sich veränderte.

Für ein beliebiges Objekt gibt es nur folgende Möglichkeiten: Es kann entweder undenkbar sein, weil es eine der Eigenschaften besitzt, die es nicht besitzt, sodass ihm keinerlei Sein zukommt; oder es kann gedacht werden, wird aber nicht wahrgenommen, sodass ihm nur geistiges Sein zukommt; oder aber es kann gedacht werden und wird wahrgenommen, sodass ihm sowohl geistiges als auch wirkliches Sein zukommt. Etwas anderes ist unmöglich.

Nun ist aber die äußere Form der Wirklichkeit die Gegenwart, sie ist auf einen Moment beschränkt; dies wiederum bringt es mit sich, dass schon gleichzeitig zum Wirklichsein des Geistigen, dem Wirklichkeit zukommt, das Wirklichsein dieses Geistigen endet, die Wirklichkeit verlässt es. Es kann aber a priori, nachdem die Wirklichkeit das dann ehemals wirkliche Geistige verlassen hat, erneut Geistiges wirklich werden. Es ist darum eine Vor-Nach-Ordnung zwischen dem einen und dem anderen Geistigen gegeben, denn die Wirklichkeit muss das eine erst verlassen, bevor das andere wirklich werden kann.

In der unendlichen Menge des Geistigen gibt es somit eine Untermenge, der das Geistige zugehört, das wirklich ist, also der jetzige Moment, sowie das Geistige, das die Wirklichkeit bereits verlassen hat, das also in einem Vor-Verhältnis zum wirklichen Geistigen steht, und das Geistige, das erst noch wirklich werden wird, also zu diesem in einem Nach-Verhältnis steht. Jeweils das Geistige, das gemeinsam wirklich war, ist oder sein wird, sei ein Element der Menge.

Was wissen wir nun über diese Menge? Wir wissen, dass a priori zwischen je zweien ihrer Elemente eine Vor-Nach-Ordnung herrschen muss, die überdies transitiv ist; außerdem kennen wir die Form jedes der Elemente, es ist nämlich diejenige, die a priori dem Wirklichen eigen ist und die wir im Kapitel darüber dargelegt haben; und schließlich ist uns genau bekannt, wie jenes eine Element aussieht, das wirklich ist, denn wir nehmen es ja wahr. Damit ist unser Wissen darüber jedoch bereits zu Ende: Wir haben absolut keine Kenntnis darüber, wie viele Elemente die Menge außer jenem einzigen, demjenigen, das wahrgenommen wird, enthalte, und erst recht nicht, wie diese Elemente aussehen; wir können also keinerlei Wissen über Vergangenheit und Zukunft haben, denn wir nehmen nur das Geistige wahr, das wirklich ist, und nicht dasjenige, welches wirklich war oder sein wird. Es kann auch sein, dass das eine Element, die Gegenwart, das einzige überhaupt ist, dass gar nichts Geistiges davor je wirklich war und danach auch keines mehr wieder wirklich werden wird.

Wir sehen daran, dass wir, von der Kenntnis von der Vor-Nach-Ordnung zwischen den Elementen abgesehen, noch nicht einmal die äußeren Merkmale der Menge kennen: Zum einen wissen wir nicht die Antworten auf die Fragen nach ihrer inneren Struktur, beispielsweise ob es zu zwei beliebigen Elementen stets endlich oder unendlich viele Elemente gibt, die zu dem einen in einem Vor- und zu dem anderen in einem Nach-Verhältnis stehen, oder ob sich solch eine allgemeine Aussage gar nicht treffen lässt; zum anderen wissen wir insbesondere nicht, ob es ein erstes Element, also eines, das zu allen anderen in einem Vor-Verhältnis steht, und ob es ein letztes, also eines, das zu allen anderen in einem Nach-Verhältnis steht, gibt.

Diese Fragen aber wollen wir die kosmologischen Fragen und die darauf möglichen Antworten die kosmologischen Optionen nennen. Von diesen kosmologischen Fragen muss zweifellos die letztgenannte besonders hervorgehoben werden, nämlich ob es ein letztes Element gebe, denn im Gegensatz zu den Fragen bezüglich der inneren Struktur der Menge und jener nach dem Vorhandensein eines ersten Elements, welche praktisch von keinerlei Relevanz sind, ist diese tatsächlich von immenser Bedeutung für unsere eigene Existenz, auch wenn wir natürlich die Antwort darauf genauso wenig wissen können wie auf die anderen. Gäbe es kein letztes Element, so bedeutete dies, dass bis in Ewigkeit die Wirklichkeit vorhanden bliebe, dass wir für immer existierten, möglicherweise auf alle nur denkbaren Weisen, jedoch immer in den Begrenzungen bleibend, die a priori dem Wirklichen eigen sind. Wie aber können wir uns die Option, dass es doch ein letztes Element gäbe, vorstellen? Grundsätzlich umfasst das wirkliche Sein a priori alles nichtgeistige Sein; Sein, das über das Geistes-Sein hinausgeht, ist zwangsläufig Wirklichkeits-Sein mit seinen apriorischen Charakteristika. Daraus folgt, dass das Vorhandensein eines letzten Elements nichts anderes bedeuten kann, als dass es irgendwann zu einem völligen Verlöschen unserer Existenz kommen würde, dass dann alles in absolutem Nichts aufginge, fortan nur noch das ewige Geistige, freilich von niemandem wahrgenommen, existierte.

Die unergründlichen Fragen

In unserer bisherigen Untersuchung haben wir unser sämtliches Wissen, so gering es auch sein mag, dargelegt oder beschrieben. Dieser letzte Teil aber soll von der Begrenzung dieses Wissens handeln und darstellen, was für uns a priori unwissbar ist. Die Gesamtheit des Unwissbaren aber lässt sich durch eine Handvoll von Fragen ausdrücken; diese Fragen wollen wir die unergründlichen Fragen nennen. Sie sollen hier alle aufgezählt werden, sodass damit unser Wissen vollständig nach außen hin abgegrenzt ist.

  1. Wie sieht die Menge des Geistigen, das wirklich war, ist oder sein wird, abgesehen von dem Element, das wirklich ist, aus?

    Wie wir bereits im vorigen Kapitel dargelegt haben, können wir tatsächlich keinerlei Wissen über die Elemente jener Menge außer dem einen, das wirklich ist, haben, wenn man einmal von dem Wissen über ihre Form und dem Wissen, dass stets eine Vor-Nach-Ordnung zwischen ihnen herrscht, absieht; es ließen sich noch nicht einmal bezüglich der Anzahl und dem Aussehen dieser Elemente irgendwelche Vermutungen anstellen oder Wahrscheinlichkeitsaussagen treffen, wir haben außer dem Wissen über ihre Form und jenem um die Vor-Nach-Ordnung zwischen ihnen keinerlei Kenntnis über sie, nicht einmal, ob sie überhaupt existieren, da wir eben nur Zugang zu dem Geistigen besitzen, das wirklich ist; Vergangenheit und Zukunft sind uns also völlig unbekannt. Besonders hervorzuheben sind hier wieder die kosmologischen Fragen als Spezialfragen zu der obigen, die darum genauso wenig beantwortet werden können.

  2. Warum ist etwas Wirkliches? Falls die Menge des Geistigen, das wirklich war, ist oder sein wird, nicht nur das eine Element enthält, das wirklich ist, warum war etwas Geistiges wirklich oder wird es sein?

    Dies ist vielleicht die größte der unergründlichen Fragen und am meisten dazu angetan, all unsere Vorstellungen zu sprengen und uns die Begrenztheit unseres Verstandes unmittelbar aufzuzeigen. Während sich die Frage nach dem Warum des geistig Seienden nicht stellt, da es aus sich selbst heraus, a priori ist, tut sie sich in Bezug auf das Wirkliche, und, falls es Geistiges gibt, das wirklich war oder sein wird, auch in Bezug auf die ehemalige beziehungsweise zukünftige Wirklichkeit dieses Geistigen, in umso größerer Dringlichkeit auf. Warum wird ein winziger, gar unendlich kleiner Bruchteil dessen, was bloß gedacht werden kann, zu etwas, das auch wahrgenommen wird? Es lässt sich nur feststellen, dass es so ist, nicht aber, wieso. Insbesondere kann auch das Wirkliche nicht von einer wie auch immer gearteten schöpferischen Instanz herstammen, denn sie könnte ja – abgesehen davon, dass damit die Frage nur verschoben würde – von ihrer Natur her nicht zum Wirklichen gehören; allem, was nicht wirklich ist, kommt aber, wie bereits beschrieben, a priori nur geistiges Sein zu, zumindest sofern es nicht undenkbar ist und ihm darum sogar überhaupt kein Sein zukommt; etwas, das nur gedacht werden kann, kann aber unmöglich etwas Wirkliches hervorbringen. Darin eben liegt das Rätselhafte und für uns Unfassbare, wie das Wirkliche ohne Ursache existieren könne.

  3. Warum ist genau das wirklich, was wirklich ist, und wodurch bestimmt sich die Gestalt der restlichen Menge des Geistigen, das wirklich war, ist oder sein wird?

    Diese Frage ist der zweiten in gewisser Weise ähnlich, wenn ihr auch nicht exakt gleich. Dort haben wir nach dem Warum des Wirklichen selbst gefragt, hier fragen wir nach dem Warum seiner Beschaffenheit; damit verhält es sich freilich genauso: Wir können nur feststellen, was wirklich sei, nicht aber, warum es genau dieses sei. Die Frage lässt sich auch noch auf die übrige Menge des Geistigen, das wirklich war, ist oder sein wird, erweitern, wobei wir hier allerdings ja noch nicht einmal wissen, wie diese überhaupt aussehe – was wir in Frage eins zum Ausdruck gebracht haben – , geschweige denn, wie sich dieses Aussehen bestimme.

  4. Was ist außer dem unendlich kleinen Bruchteil, den wir davon erkennen können, sonst noch zur Menge des Geistigen gehörig?

    Während die anderen Fragen sich alle auf das Wirkliche oder doch zumindest das Geistige, das wirklich war, ist oder sein wird, bezogen, bringt diese letzte Frage die Begrenztheit unseres Erkenntnisvermögens hinsichtlich des Geistigen an sich zum Ausdruck. Eine geringe Menge ist es zwar nicht, die wir davon erkennen können, im Gegenteil sogar, doch im Vergleich zu der unendlich großen Menge an Denkbarem muss jene endliche immer unendlich klein bleiben, so groß sie auch sein mag; alles Geistige zu erkennen bleibt uns ob unserer Endlichkeit verwehrt.

Schlussrede

Da stehen wir vor den unergründlichen Fragen und müssen erkennen, dass es gerade jene sind, auf welche die Antwort zu kennen uns das existenziellste Bedürfnis ist und auf deren Auflösung unermüdliches, aber vergebliches Streben geht. Das Verhältnis ist dazu angetan, zur Verzweiflung zu führen.

Freilich könnte man anführen, dass nur in dem Falle jener kosmologischen Option, dass die Menge des Geistigen, das wirklich war, ist oder sein wird, kein letztes Element besitzt, wir dazu verurteilt sind, bis in Ewigkeit den unergründlichen Fragen gegenüberzustehen; denn sollte stattdessen die andere kosmologische Option, nämlich dass es ein letztes Element gibt und wir darum irgendwann zu völligem Nichts verlöschen, wahr sein, so würden die unergründlichen Fragen zwar auch nicht aufgelöst, doch ab dann verlören sie jegliche Relevanz, sie würden gleichsam überwunden. Ob jedoch aus diesem Grunde dies die zu erhoffende kosmologische Option sei, ist mehr als fraglich, ganz abgesehen davon, dass Spekulationen darüber, welche kosmologische Option wünschenswerter sei, zwar interessant, im Grunde genommen jedoch völlig müßig sind.

So stellen wir am Ende dieser Untersuchung fest, was wir schon in der Vorrede angesprochen haben: Das, was wir a priori wissen, ist zwar nicht überhaupt nichts, aber dennoch sehr wenig im Vergleich zu dem, was wir a priori nicht wissen, wozu fast alle großen Fragen unserer Existenz gehören.

Es bleibt uns freilich noch als Trost die immanente Weltanschauung, in der wir mit unserem Denken die meiste Zeit verhaftet sind, denn diese bietet ein durchaus weit größeres Wissen, gar auf die unergründlichen Fragen gibt sie scheinbar zu weiten Teilen Antworten; doch letztlich lässt sich nicht vergessen, dass sie über das, was wir a priori wissen, das absolut und das relativ Wahre, hinausgeht oder diesem widerspricht und darum falsch ist.

Letztendlich ist das Einzige, was uns im Angesicht der riesigen Menge an Unwissbarem immerhin ein wenig Halt bieten kann, dass wir im Besitz der, wenn auch nicht allzu weit reichenden, dafür aber apriorischen und unumstößlichen Gewissheiten des Gebäudes des absolut Wahren sind, die wir hier beschrieben haben und zu denen wir immer Zuflucht nehmen können.