Über das Verhältnis von metaphysischer und immanenter Weltsicht
Die Fragen, die wir in dieser Schrift behandeln wollen, gehören zu den schwierigsten überhaupt; dementsprechend kann es nicht um letztgültige Antworten auf diese Fragen gehen, allenfalls um Ansätze zu Antworten; und immer wieder werden Diskussionen in Aporie enden müssen. Mit „schwierig“ ist hier nicht gemeint, was man darunter in einem festgegründeten Gedankengebäude wie beispielsweise der Mathematik oder einer Naturwissenschaft versteht; wenn man in deren Rahmen von einem schwierigen Problem spricht, so meint man für gewöhnlich ein kompliziertes, ein komplexes Problem. Hingegen sind die zu diskutierenden Fragen fast so wenig kompliziert und komplex wie nur möglich; und dennoch gehören sie zu den schwierigsten überhaupt: Nämlich in dem Sinne, dass sie, ganz anders als etwa jene gerade erwähnten Probleme, gar keine Voraussetzung irgendeiner schon bestehenden, als gültig akzeptierten Weltsicht überhaupt akzeptieren, und mag diese auf noch so elementare Aussagen sich beschränken. Ja damit ist in gewisser Hinsicht ein noch weitergehender Anspruch erhoben, als ihn die Schrift Metaphysik erhebt: Denn auch wenn diese die letztgültigen Wahrheiten zu beschreiben beansprucht, so tut sie dies letztlich doch in vieler Hinsicht von der immanenten Weltsicht aus.
Nun muss man aber zugeben, dass natürlich auch besagte Fragen nicht gänzlich ohne Verankerung in bestehenden Voraussetzungen sein können, denn allein schon der Begriff der Frage, der Begriff der Diskussion einer Frage, allein schon die Sprache haben nur in der bereits festgegründeten immanenten Weltanschauung einen Sinn. Und dennoch machen sie den Versuch, eben diese ihre Lebensgrundlage zu übersteigen und jegliche Verankerung hinter sich zu lassen, auch wenn sie ohne Verankerung nicht existieren können. Damit sind wir zum ersten Mal auf den zentralen, unauflösbaren Widerspruch gestoßen, der in ähnlicher Form im Laufe der Untersuchung immer wieder begegnen wird und der die grundsätzliche Problematik darstellt, deretwegen alle Diskussionen in Aporie enden müssen: Dass wir gewisse elementare Dinge schlicht als gegeben akzeptieren müssen, obwohl wir gerade diese hinterfragen und gegebenenfalls hinter uns lassen wollen.
Wir gleichen darin einem, der sich an den eigenen Haaren aus dem Sumpf ziehen möchte: Der Sumpf ist dabei die Welt, außerhalb welcher wir stehen müssten, um sie begreifen zu können, und stattdessen sitzen wir mitten darin; ja müssen wir zwangsläufig sitzen, da eine Entität außerhalb der Welt, welche nichts anderes ist als die Gesamtheit der Entitäten, in sich widersprüchlich ist. Ein Phänomen, in welchem sich diese Schwierigkeiten immer wieder manifestieren, ist dasjenige der Denkschlaufe: Ein infiniter Regress, in dem zunächst eine Aussage selbst als in einer bestehenden Weltsicht verhaftet erkannt wird, dann die Aussage eben dieses Verhaftetseins und so fort. Um aber überhaupt eine sinnvolle Diskussion zu ermöglichen, müssen wir uns des gewissermaßen unlauteren Verfahrens bedienen, diese unendliche Reihe schlichtweg abzuschneiden: Denn wir können nicht philosophieren, ohne der Notwendigkeit enthoben zu sein, über das Philosophieren selbst philosophieren zu müssen. Wir akzeptieren also eine Verankerung in der immanenten Weltsicht und versuchen dennoch, sie hinter uns zu lassen, so weit es eben geht.
Beginnen wir mit der folgenden, sehr allgemeinen Frage: Worum handelt es sich bei der Metaphysik überhaupt? Da wir ja erst einmal eine Verankerung in der immanenten Weltsicht voraussetzen, können wir uns hier, wie wir es implizit immer tun, aller immanenten Begriffe bedienen. Dementsprechend können wir aussagen, dass es sich zunächst ganz vordergründig um einen in deutscher Sprache verfassten Text handelt. Dieser besteht durchweg, wie könnte es auch anders sein, aus Wörtern, die in der gewöhnlichen Verwendung der deutschen Sprache schon mit einem Sinn behaftet sind und mit einer Fülle von Konnotationen und Assoziationen. Zentrale Begriffe sind etwa Wissen, a priori, immanent, metaphysisch, Sein, wirklich, geistig, Wahrnehmung, Ich, Augenblick, Denken, Verstand, Menge, Frage. Diese Begriffe der gewöhnlichen Sprache zu entnehmen, ist unumgänglich; jedoch durch ihre Zusammenstellung ergeben sich ganz neue und ungewöhnliche, „metaphysische“ Aussagen. Nehmen wir als paradigmatischen Fall einmal die in der Metaphysik so zentrale Gleichsetzung von Wahrnehmung und Wirklichkeit. Wenn diese für den Metaphysiker äquivalent sind, haben wir dann nichts anderes als eine Tautologie ausgesagt? In metaphysischer Hinsicht ja, in immanenter Hinsicht aber nicht. Denn im immanenten Sprachgebrauch und in der immanenten Denkweise sind sowohl der Begriff der Wirklichkeit als auch derjenige der Wahrnehmung mit einer Vielzahl an Konnotationen behaftet. Die Gleichsetzung von Wirklichkeit und Wahrnehmung ist darum im immanenten Rahmen eine ganz neue und nichttriviale Aussage. Gewissermaßen könnte man auch davon sprechen, dass hier nur falsche Vorstellungen aus der immanenten Weltanschauung richtiggestellt werden, was natürlich immanente Ausdrucksmittel erfordert.
Dies verleiht der metaphysischen Denkungsart ihren so eigentümlichen Charakter: In all ihren Voraussetzungen, in all ihren Ausdrucksmitteln ist sie zutiefst in der immanenten Weltsicht verhaftet, und zugleich sind ihre Aussagen dieser ganz fremd; sobald sie darüber hinausgestiegen ist, kennt sie diese nicht mehr. Sie ist für unseren unweigerlich in der immanenten Denkweise gefangenen Verstand ein Ausblick auf eine darüber hinausgehende, letztgültigere Wahrheit.
Die Tatsache, dass die metaphysischen Aussagen im Rahmen der immanenten Weltanschauung zwar verstehbar sind, aber falsch erscheinen, wirft eine wichtige Frage auf: Ob metaphysische Aussagen, wenn es möglich ist, die entsprechenden immanenten Aussagen in der Praxis, das ist der praktischen Lebensführung, ersetzen sollten. Es ist durchaus zweifelhaft, inwieweit die Ersetzung einzelner Elemente der immanenten Weltanschauung durch entsprechende Elemente der metaphysischen Weltsicht überhaupt praktische Konsequenzen entfalten würde: In vielen Fällen ist das nur bedingt vorstellbar oder zumindest abhängig von unserer Interpretation, etwa beim strikten Präsentismus oder der platonischen Existenz abstrakter Objekte; eine Ausnahme stellt allerdings der Solipsismus dar, dem man durchaus praktische Konsequenzen, wenn auch nicht allzu bedeutsame, zuschreiben kann.
Dennoch fällt es schwer, die Frage rundheraus zurückzuweisen, sprechen wir doch den metaphysischen Aussagen anders als den immanenten zu, letztgültig wahr zu sein. Ebenso schwer jedoch fällt es, darauf zu antworten: Denn richtigerweise ist in der Metaphysik bemerkt, dass sich aus dem metaphysischen Gedankengebäude keine Maximen ableiten lassen, was jede Beantwortung einer Frage nach dem Sollen aus rein metaphysischen Überlegungen verunmöglicht. Man könnte die Beantwortung einer rein auf das praktische Leben sich beziehenden Frage an die immanente Weltanschauung übertragen, ist diese doch ohnehin das Mittel zur Führung eines Lebens in der Welt schlechthin. Dies aber scheitert daran, dass die immanente Weltanschauung in große Schwierigkeiten gerät, wann immer sie Fragen zu verhandeln hat, die in irgendeiner Weise von grundlegendem Charakter sind, wofür eben diese ein Beispiel par excellence darstellt. Mehr noch: Sie hielte damit gleichsam über sich selbst Gericht, müsste sie doch entscheiden, welche ihrer eigenen Aussagen durch metaphysische ersetzt werden sollen.
Man kann sich nun auf den in der Vorrede zur Metaphysik beschriebenen Standpunkt stellen: Wenn die strikt metaphysische Weltsicht keine Handlungsanweisungen bereitstellt, dann kann ohnehin keine Handlung „falsch“ sein, und somit können wir auch der immanenten Weltanschauung folgen, was immerhin als Rechtfertigung hat, dass diese dem gesunden Menschenverstand entspricht und sich überaus gut in der praktischen Lebensführung bewährt.
Ein dazu alternativer Ansatz indes ist, was wir das katabatische Vorgehen nennen wollen: Man geht aus von der metaphysischen Weltsicht als der schlechthin und letztgültig wahren Art der Weltbetrachtung; und steigt dann von diesem höchstmöglichen Punkte der Leiter der philosophischen Wahrheit hinunter, das ist gibt Elemente der metaphysischen Weltanschauung auf, jedoch nur gerade soweit, wie es zur Ermöglichung eines bestimmten philosophischen Diskurses unbedingt nötig ist. Im Vergleich zu unseren vorherigen – gescheiterten – Überlegungen, die von der immanenten Weltanschauung ausgingen und die Übernahme einzelner metaphysischer Elemente in diese erwogen, welchen Ansatz man darum den anabatischen nennen kann, ist damit die Denkungsart gerade umgekehrt.
Es sind hauptsächlich zwei Stufen, die man hinabsteigen kann zu Weltsichten, die sich dann als halbmetaphysisch bezeichnen lassen. Die erste gibt den strikten Präsentismus der Metaphysik auf, das ist man nimmt die in der Gegenwart vorhandenen Erinnerungen und Antizipationen als der metaphysischen Vergangenheit beziehungsweise Zukunft zumindest ungefähr entsprechend und die zeitliche Entwicklung der Wirklichkeit als gesetzmäßig und stetig an. Diese Voraussetzung ist so elementar, dass fast jede über das kümmerliche Wissen der Metaphysik hinausgehende philosophische Betrachtung ihrer bedarf. Ja sogar die metaphysische Weltsicht selbst braucht für ihre Realisierung als Text, der geschrieben und gelesen wird, und als Gedankengebäude, das Stück für Stück gedacht wird, zweifellos eine regelmäßige Zeitlichkeit, womit wir wieder auf das Paradox ihrer Verankerung in der immanenten Weltanschauung gestoßen sind. Die zweite bedeutsame Stufe hinabzusteigen heißt, die metaphysische Teilnahmslosigkeit aufzugeben. Die metaphysische Sichtweise ist nämlich frei von jedweder Bewertung einer gegebenen Wirklichkeit und ihrer Beschaffenheit gegenüber vollkommen indifferent. Die immanente Weltanschauung hingegen kennt eine affektive Beziehung zwischen dem Ich und der Wirklichkeit, ja in ihrem Rahmen ist diese das Natürlichste überhaupt: Eine Wirklichkeit kann gut oder schlecht sein in unterschiedlichem Grade und in unterschiedlichen Aspekten. Auf dieser Stufe erst wird das möglich, was man allgemein als praktische Philosophie bezeichnet, zu welcher etwa Ethik und Ästhetik gehören. Und tatsächlich bildet diese Form der halbmetaphysischen Weltsicht die Grundlage unserer ethischen und ästhetischen Schriften, wohingegen wir für unsere Philosophie der Zeit nur die erste Stufe hinabzusteigen brauchen.
Man kann die katabatische Denkungsart, welche der ursprünglichen Dichotomie von metaphysischer und immanenter Weltanschauung noch weitere Stufen hinzufügt, durchaus als inkonsequent angreifen mit dem Argument, man müsse sich eindeutig darauf festlegen, was man als wahr betrachtet, und könne nicht verschiedenen Weltsichten verschiedene Grade der Wahrheit zusprechen. Zwar tun wir das schon, wenn wir das ursprüngliche dichotomische Verhältnis von metaphysischer und immanenter Weltanschauung postulieren, und es ist kaum möglich, dieses aufzugeben; doch ist das eine Rechtfertigung, diese Widersprüchlichkeit noch auf die Spitze zu treiben durch die Einführung von Zwischenformen von metaphysischer und immanenter Weltsicht? Zur Verteidigung lässt sich allerdings anführen, dass – zumindest was die beiden beschriebenen Stufen angeht – keine Aussagen übernommen werden, die zu metaphysischen Aussagen rundheraus konträr sind, sondern die übernommenen Aussagen beziehen sich auf Bereiche, auf denen die Metaphysik indifferent ist oder die sie für unwissbar erklärt. Erst wenn man noch weiter bis zur immanenten Weltanschauung selbst hinabsteigt, erhält man echte Widersprüche. Somit könnte man die einzelnen halbmetaphysischen Weltsichten als Erweiterungen der metaphysischen ansehen.
Im Konflikt steht aber der katabatische Ansatz nach wie vor mit der Ansicht, man solle sich in allen praktischen Belangen allein von der immanenten Weltanschauung leiten lassen, statt bis zu dieser hinabzusteigen nur dann, wenn es nicht anders geht. Denn sobald die Kategorien von gut und schlecht in der halbmetaphysischen Weltsicht zur Verfügung stehen und wir praktische Philosophie betreiben können, tritt diese auf dem Gebiet der praktischen Lebensführung prinzipiell in Konkurrenz zur immanenten Weltanschauung, selbst wenn die Differenzen in der Praxis klein sein mögen. Die erste Sichtweise hat für sich vor allem das epistemologische Argument, dass die Wahrheit metaphysischer Aussagen letztgültiger ist und es umso besser ist, je mehr man davon behält; die zweite einerseits das praktische Argument, dass die immanente Weltanschauung als die Erfahrung und Intuition entspringende für Belange der Lebensführung besser geeignet ist; und andererseits den Vorwurf, dass eine Weltsicht nicht zu höherem Grade letztgültig wahr sein kann als eine andere, sondern nur ganz oder gar nicht, und sich aus der einen letztgültigen Weltsicht, der metaphysischen, eben nicht ableiten lässt, dass es besser sei, mehr als weniger von ihr beizubehalten.
Obwohl wir der ersten Haltung eindeutig zuneigen, gibt es keine Möglichkeit, sie letztgültig zu begründen. Überhaupt beginnen wir uns im Kreise zu drehen und in einen aporetischen Zustand zu geraten; wir kommen in dieser Frage nicht recht weiter.
Kehren wir nach diesem Exkurs wieder zur anfangs diskutierten Problematik zurück, dass das kühne Hinaufsteigen zur letztgültig wahren metaphysischen Weltsicht immer von der immanenten Weltanschauung seinen Ausgang nehmen muss und ohne Verankerung darin die metaphysische Weltsicht nicht bestehen könnte; und verschärfen diese sogleich noch weiter, indem wir die Frage stellen, wie es denn überhaupt uns möglich sein solle, als in unserem Denken zunächst einmal in der immanenten Weltanschauung Verhaftete zu letztgültig Wahrem vorzudringen; zuvörderst, wie wir uns gewiss sein können, dass es eben die von uns unter dem Namen der metaphysischen Weltanschauung zusammengetragenen Aussagen sind, welche dieses anmaßende Prädikat beanspruchen können.
In der Schrift Metaphysik selbst ist eine durch und durch dogmatische Position eingenommen, derzufolge es hinreicht, „in letzter Konsequenz denkend Erfahrung und Intuition völlig hinter sich zu lassen“, um zu unumstößlichen und letztgültigen Wahrheiten zu gelangen. Das ist was zwischen der gewöhnlichen und metaphysischen Weltsicht vermittelt, ist die philosophische Anschauung, welche uns als in ersterer verhafteten Wesen einen Ausblick auf letztere erlaubt; womit sie in gewisser Weise einem siebten Sinn gleicht, der wahrzunehmen vermag, wofür die anderen blind sind. So betrachtet haftet der philosophischen Anschauung etwas Rätselhaftes und Unerklärliches an.
Darum und weil dessen Ergebnisse scheinbar beliebig sind, kann der Erkenntnisgewinn durch die Anschauung leicht unter Angriff geraten. Doch sei wer es unternimmt, den Dogmatismus in Frage zu stellen, an das bekannte Trilemma erinnert, dass als Alternativen zum Dogmatismus nur der Zirkelschluss und der infinite Regress als Mittel zur Letztbegründung zur Verfügung stehen. Beide sind gänzlich abwegig: Macht man den Zirkelschluss zur validen Begründung, so wird es völlig willkürlich, was wahr und was falsch ist, da sich mittels Zirkelschluss jede beliebige Aussage beweisen lässt; zwar verhält es sich scheinbar ebenso mit dem Dogmatismus, in Wahrheit aber gerade eben nicht, denn wenn die eine Aussage der Anschauung entspringt, die andere aber nicht, so ist die Entscheidung des Dogmatismus für erstere keineswegs beliebig. Was für den Zirkelschluss gilt, gilt auch für den infiniten Regress: Wenn der Zirkelschluss eine falsche Aussage „beweisen“ kann, indem er sie mithilfe von jeweils für sich genommen logisch korrekten Schlüssen auf sich selbst zurückführt, so kann der infinite Regress es ihm gleichtun, indem er eine falsche Aussage logisch korrekt auf eine andere falsche Aussage zurückführt, diese wiederum auf eine weitere falsche Aussage und so fort. In beiden Fällen wird der Aussage erlaubt, dem Prüfstein der Anschauung gänzlich zu entgehen, wodurch willkürlich wird, was wahr und falsch ist. Das trifft aber auf den dogmatischen Ansatz gerade nicht zu, weshalb er – trotz der gewissen Unerklärlichkeit, die der Anschauung innewohnt – die einzige akzeptable Auflösung des Trilemmas darstellt.
Man könnte nun aber alternativ dazu auch aus dem Trilemma den Schluss ziehen, dass gesicherte Erkenntnis überhaupt nicht möglich ist. Bekanntermaßen führt das zu einem Selbstwiderspruch, da auch in diesem Schluss selbst eine Erkenntnis besteht. Wir wollen es uns jedoch nicht ganz so einfach machen und diesen selbstwidersprüchlichen Skeptizismus – der nicht selbstwidersprüchliche Skeptizismus sei unten einer Bewertung unterzogen – ernsthaft betrachten. Wenn man also aus dem Trilemma oder aus welcher Überlegung auch immer heraus zu der Ansicht gelangt, dass man nichts wissen könne und selbst dies nicht gewiss sei: Dann gerät man zwar zweifellos in einen Selbstwiderspruch. Was aber, wenn man sich darum nicht bekümmert und den logischen Widerspruch ignoriert? Man könnte stattdessen den Versuch machen, sich aus den im Denken vorgehenden, fortwährenden Kämpfen um die Wahrheit, welche nach den Regeln der Logik ausgefochten werden, gänzlich herauszuhalten. Dementsprechend enthielte man sich in der praktischen Lebensführung jedes Urteils, ohne eine solche Haltung zu begründen. Selbstredend kann man einem, der sich so verhält, mit keinem Argument der Welt beikommen, womit wir wieder einmal bei der Grundproblematik dieser Schrift sind. Dennoch haftet dieser Haltung etwas Seltsames an: Man könnte sie nicht lehren, nicht anderen gegenüber begründen, ja noch nicht einmal sich selbst gegenüber rechtfertigen. Man geriete allenthalben in den krassesten Konflikt mit einer Grundgegebenheit der menschlichen Existenz: Dass wir an die Welt in der Form des Denkens herangehen, all ihre Erscheinungen dem Denken unterwerfen, unsere Entscheidungen in dialektischer Weise fällen. Wie könnte es da auf Dauer gelingen, sich im praktischen Handeln stets jedes Urteils zu enthalten, ohne jemals den Drang zu verspüren, dieses Tun zu hinterfragen: und dann festzustellen, dass man mit der zugrundeliegenden Begründung, dass man nichts wissen könne, eben doch etwas weiß; ja dass auch die Praxis der Urteilsenthaltung eine durch und durch affirmative Haltung ist, die der dogmatischen Ansicht der Unmöglichkeit von Wissen entsprang.
Im Gegensatz dazu erkennt ein nicht selbstwidersprüchlicher Skeptizismus an, dass man eines wissen könne: nämlich dass man außer dieser Aussage selbst nichts weiteres weiß. Obwohl es zur Erreichung der Selbstkonsistenz nicht zwingend notwendig ist, kann ein solcher Skeptizismus zusätzlich eine grundsätzliche Verschiedenheit von negativem und positivem Wissen ansetzen; welches die Ausnahme rechtfertigen hilft, die für das Wissen um die Unmöglichkeit von Wissen gemacht wird. Doch bleibt auch noch eine solche Spielart des Skeptizismus fragwürdig; denn jene eine als wahr angesehene Aussage stünde gänzlich isoliert da und entbehrte jeder Stütze durch andere wahre Aussagen. Warum, so ließe sich fragen, soll diese eine wahr sein, wenn alles andere für unwissbar erklärt wird, was ist ihre Begründung? Das Vorgehen der antiken Skeptiker, welches von Sextus Empiricus aufbewahrt wird, bestand zuvörderst darin, andere Lehrmeinungen zu hinterfragen. Doch in Wahrheit verlangt schon ein solches Hinterfragen und Widerlegen das Fürwahrhalten und Voraussetzen zahlreicher Sätze, allen voran der logischen; der Skeptizismus scheitert darum an seinem eigenen Anspruch. Nebenbei sei bemerkt, dass das Argument der antiken Skeptiker für die Urteilsenthaltung, dass allein auf diese Weise Seelenfriede und Ataraxie, und somit Glückseligkeit erreicht werden könne, nicht nur durch und durch unskeptisch, sondern auch geradezu absurd ist. Dann müssten etwa Tiere, welche des Verstandes entbehren und somit dem skeptischen Ideal der Urteilsenthaltung sehr nahe kommen, allgemein viel glücklicher als Menschen sein, wovon aber kaum auszugehen ist. Bei ihnen genauso wie beim Menschen ist es zuvörderst das Leiden, welches das Leben in der Welt mit sich bringt, das der Glückseligkeit im Wege steht. Die Beunruhigung über die Frage, was wahr ist, ist dem weit nachgeordnet; mehr noch, sie kann schließlich auch in genau entgegengesetzter Weise beseitigt werden, eben indem aufgeklärt wird, was wahr ist; kann doch der Besitz von gesichertem Wissen bisweilen auch glücklich machen.
In der Metaphysik wird das Argument vorgetragen, dass es unumstößliche Gewissheiten geben muss, weil selbst das Negieren der Existenz von unumstößlichen Gewissheiten selbst wieder eine unumstößliche Gewissheit ergibt. Stellt man sich die Gesamtheit der unumstößlichen Gewissheiten als eine Menge vor, so kann diese Menge nicht selbstkonsistent leer gedacht werden, da es deren Natur mit sich bringt, dass jede Aussage über die Menge selbst ihr wieder zugehörig sein muss. Man kann dann aber immer noch die Frage stellen, ob ihre Elemente durch den Verstand auffindbar seien. In jedem Falle wird er sie nicht auf einen Schlag auffinden, sondern allmählich durch gewissenhaftes Nachdenken; und selbst wenn er sie einmal in seinen Besitz gebracht hat, wird er sich ihrer nicht alle Zeit über bewusst sein. Dann aber ist es auch prinzipiell möglich, dass er sie niemals auffindet oder ihm zumindest ein Teil davon für immer unzugänglich bleibt. In jedem einzelnen Augenblick bestünde dann entweder gar keine Erkenntnis oder aber ausschließlich Erkenntnis von relativ Wahrem im Sinne der Metaphysik, das ist allein auf die jeweilige Gegenwart bezogen Wahrem; letzteres könnte sogar die relativ wahre Erkenntnis beinhalten, dass in der gegenwärtig gegebenen Wirklichkeit keine Erkenntnis einer absoluten Wahrheit besteht. Nehmen wir andererseits an, man träfe in einer gegebenen Gegenwart in vollster Allgemeinheit die Aussage, dass bis auf diese Aussage selbst, welche zweifellos ein absolut wahrer Satz ist, alle unumstößlichen Wahrheiten unauffindbar sind. Ist das das Gleiche oder etwas anderes als die skeptische Aussage, dass bis auf diese keine unumstößliche Wahrheit existiert?
Wir müssen solchen Überlegungen, welche allzu leicht in Denkschlaufen geraten können, hier Einhalt gebieten: Wenn wir zu Beginn unserer Untersuchung den infiniten Regress abgeschnitten haben, welcher dadurch entsteht, dass das philosophische Denken als in der Welt, die es doch beschreiben will, verhaftet erkannt wird, daraufhin aber diese Erkenntnis selbst und so fort, so haben wir damit die Haltung eingenommen, so vorzugehen, als ob unser Denken dasjenige eines freischwebenden und – so widersprüchlich dieser Begriff auch sein mag – außerhalb der Welt stehenden idealen philosophischen Verstandes wäre. Einem solchen aber müssen wir die Fähigkeit zubilligen, jede überhaupt im Zuge der philosophischen Untersuchung erreichbare absolute Wahrheit schließlich auch zu erreichen und dann festzuhalten, insbesondere aber auch zu erkennen, welche Fragen ihm prinzipiell unzugänglich bleiben, welche Erkenntnis wieder eine absolute Wahrheit darstellt. Dann aber wird die Unterscheidung zwischen der Existenz und der Auffindbarkeit oder auch Aufgefundenheit von absoluten Gewissheiten unsinnig: Denn eine absolute Gewissheit, die selbst von einem idealen philosophischen Verstande nicht aufgefunden werden kann, ist gar keine Gewissheit. Da unser eigener Verstand natürlich sehr wohl in der Welt verhaftet ist, und sich auch die Form seines Denkens der nötigen Idealität allenfalls annähern kann, lässt sich indes fragen, wie jenes Alsob zu rechtfertigen sei. Darauf wissen wir keine Antwort; wir wissen nur, dass alles andere in infiniten Regress und unauflösliche Denkschlaufen führt.
Wir haben bisher zugunsten des Erkenntnisgewinns durch die philosophische Anschauung nur ein Argument negativer Art vorgebracht: dass die Alternativen, der Erkenntnisgewinn auf einem anderen Wege und der Skeptizismus, gänzlich unhaltbar sind. Wir wollen jedoch auch in positiver Weise für die Anschauung eintreten und ihr dabei zugleich etwas von ihrer Unerklärlichkeit nehmen. Denn auch wenn die anschauende Entscheidung des Verstandes für die eine Aussage und gegen die andere als absolute Gewissheit letztlich eine unwillkürliche und kaum verstehbare Entschließung ist, so stützt er sich auf dem Weg dahin und bei seiner Rechtfertigung im Nachhinein meist auf ein Verfahren, das wir Plausibilisierung aus den Voraussetzungen der immanenten Weltanschauung heraus nennen wollen. Eines Beweises im strikten Sinne kann er sich offensichtlich nicht bedienen, da jeder Beweis von Axiomen und Ableitungsregeln, ja überhaupt einem wohlgegründeten Wissens- und Denksystem ausgehen muss, welche hier aber gerade nicht zur Verfügung stehen; wiewohl die Plausibilisierung in der Form bisweilen dem Beweis sehr nahekommt, etwa wenn in der Metaphysik der Solipsismus aus dem idealistischen Postulat und dem Grundsatz von der Eindeutigkeit der Wirklichkeit deduziert wird, sodass wir andernorts den Begriff „Beweis“ durchaus verwenden.
Was also ist unter Plausibilisierung zu verstehen? Es handelt sich dabei um ein Vorgehen, bei dem die Ansichten der immanenten Weltanschauung über ihren üblichen Geltungsbereich hinaus vom Verstande weiterverfolgt werden bis in ganz und gar nicht mehr immanente Gefilde; und zwar im besten Falle von gleich mehreren verschiedenen Ausgangspunkten aus, von wo aus der Verstand am gleichen Endpunkt angelangt, wodurch sich dann die einzelnen Wege von der immanenten hin in die metaphysische Weltanschauung gegenseitig stützen. Durch dieses Ausgehen von immanenten Offensichtlichkeiten der jeweiligen Denkungswege hin zu einer metaphysischen Aussage und ihr gegenseitiges Sichstützen wird diese Aussage plausibel gemacht. Nehmen wir etwa an, wir wollten die Gleichsetzung von Wirklichkeit und Wahrnehmung plausibilisieren. So könnte man ausgehen von dem intuitiven Gefühl, dass durch unsere Wahrnehmung die Wirklichkeit unmittelbar gegeben ist. Von da aber, so kann man anführen, ist es nur noch ein kleiner Schritt hin zu dem Gedanken, dass Wirklichkeit gar nichts anderes als Wahrnehmung ist und nichts Wirkliches bestünde, wenn es keine Wahrnehmung gäbe. Unterstützend wirkt dazu dann das Argument, dass die alternative realistische Ansicht, derzufolge Wahrnehmung und Wirklichkeit auseinanderfallen, sich in zahllose Widersprüche verstrickt, weil sie nicht zu klären vermag, wie sich die wahrgenommene zur wahren Wirklichkeit verhalte und was deren Natur sei. Beides sind Denkungswege, die hin zum idealistischen Postulat führen und dieses darum plausibilisieren. Von strengen Deduktionen kann man nicht sprechen – solche wären auf dieser Ebene des Diskurses über die Welt auch unmöglich –, sondern es handelt sich vielmehr um ein argumentatives Eintreten für einen Standpunkt, um ein konsequentes Weiterverfolgen von Gedankengängen, wie sie sich in natürlicher Weise ergeben. Selbst im erwähnten Fall der Herleitung des Solipsismus handelt es sich nicht um einen Beweis im eigentlichen und strengen Sinne, da für die Anwendung besagter Postulate und das Schließen daraus doch ein gewisses Weltverständnis vorausgesetzt werden muss; welches sich aber doch schwerlich zu einem der Axiome machen ließe, von denen die Herleitung ausgeht. Eine starke Plausibilisierung leistet das Argument jedoch zweifellos.
Übrigens sei bemerkt, dass der Begriff der Plausibilität, den wir hier verwenden, keineswegs mit demjenigen der Wahrscheinlichkeit gleichgesetzt oder auch nur verglichen werden darf. Selbst wenn letzterer etymologisch betrachtet aus „wahr“ und „scheinen“ zusammengesetzt ist und damit gemäß der Bedeutung seiner Bestandteile dem sehr nahekäme, was wir hier mit „plausibel“ meinen, ist die tatsächliche Bedeutung von „wahrscheinlich“ eine andere, probabilistische. Bezöge man darum den Wahrscheinlichkeitsbegriff auf die Welt an sich und als Ganzes, was impliziert wäre, wenn man eine plausible metaphysische Aussage als wahrscheinliche Aussage interpretierte, so würde man aussagen, ein wie auch immer gearteter außerhalb der Welt stehender probabilistischer Prozess habe die allgemeinste Beschaffenheit der Welt bestimmt; welches gänzlich unsinnig ist, da definitionsgemäß nichts außerhalb der Welt existiert und probabilistische Prozesse nur in derselben bestehen können. Stattdessen ist mit der Plausibilität einer Aussage gemeint, dass sie – wie es die Etymologie hier zu Recht nahelegt – den Beifall des Verstandes findet, das ist ihn für sich gewinnen und von ihrer Wahrheit überzeugen kann.
Weiterhin sei erneut betont, dass die Anschauung, welcher stets ein rätselhaftes Moment innewohnt, immer das letzte Wort behält, ja behalten muss; die Plausibilisierung dient ihr nur als Stütze und Beraterin, späterhin dann als Apologetin. Das aber hat zur Folge, dass die besagte Rätselhaftigkeit und Unerklärlichkeit dem dogmatischen Entscheiden des Verstandes in metaphysischen Angelegenheiten nur bis zu einem gewissen Grade vermittelst der Plausibilisierung genommen werden kann, niemals jedoch vollständig. Diese zum Vorwurf der Willkür einladende Schwäche haftet ihm unerbittlich an. Doch wie wir sahen, ist der Dogmatismus unumgänglich, wenn man es auf die letzten Wahrheiten abgesehen hat.
Wir haben zu Beginn unserer Untersuchungen den infiniten Regress, der sich ergibt aus der Unmöglichkeit, philosophische Untersuchungen über die Welt ohne jede Voraussetzung und Verankerung in der Welt selbst anzustellen, wenn solche Untersuchungen aber zugleich jede Voraussetzung in Frage stellen können müssen, schlichtweg abgeschnitten. Von dieser sicheren Feste aus war es uns dann möglich, Betrachtungen über die Beziehung der immanenten zur metaphysischen Weltsicht anzustellen, als beträfe diese die Betrachtungen selbst gar nicht. Wir haben die Notwendigkeit der Verwendung von in der immanenten Weltanschauung schon mit Konnotationen behafteten Begriffen zum Ausdrücken metaphysischer Wahrheiten untersucht; die Rechtfertigung, die der Verstand vorbringen kann, wenn er diese und nicht jene Aussagen zu letztgültigen Wahrheiten erklärt; sowie die möglichen Zwischenstufen zwischen metaphysischer und immanenter Weltsicht, wie sie etwa vermittelst des katabatischen Verfahrens sich ergeben.
Doch bleibt diese in Wahrheit nur vermeintlich sichere Feste auf einem gewaltigen Alsob gegründet: Sumpfbewohner sind und bleiben wir, und wir können uns nicht an den eigenen Haaren daraus hervorziehen; den infiniten Regress abzuschneiden, so zu tun, als ob wir auf die Welt gleichsam von außen blicken könnten, ist nach wie vor ein zwar notwendiges, doch unlauteres Vorgehen. Aus dieser misslichen Lage uns zu befreien und dieses gewaltige Problem aufzulösen, worin die Grundaporie dieser Schrift, ja der Philosophie überhaupt besteht, wollen wir nicht einmal versuchen; derart aussichtslos ist das Unterfangen. Wir wollen jedoch noch einige Konsequenzen dieses Verhältnisses aufzeigen.
So ergibt sich etwa daraus, dass all unsere Überlegungen und selbst das, was wir unter den Begriff des Gebäudes des absolut Wahren stellen, letztlich mit einer gewissen Unsicherheit behaftet ist. Denn wir gelangen zu unseren Erkenntnissen in der Form des Denkens und der Anschauung; somit müssen wir, um diese für absolut wahr – kein geringer Anspruch – erklären zu können, letztlich darauf vertrauen, dass man Wahrheit überhaupt vermittelst des Denkens erlangen kann, dass unser in der Welt konkret gegebener und mit zahlreichen Mängeln behafteter Verstand zumindest darin jenem idealen philosophischen Verstande gleichkommt, dass er des Erkennens von wahren Aussagen immerhin fähig ist, wenn auch nur in vereinzelten Höhepunkten seines Daseins und selbst dann nicht in größtmöglicher Schärfe. Die Notwendigkeit dieses Vertrauens sorgt dafür, dass wir nie mit letzter Gewissheit auszuschließen vermögen, dass es sich in Wahrheit ganz anders verhält, als wir meinen.
Eine andere Konsequenz besagten Verhältnisses ist, dass all unsere Versuche, die metaphysische Weltanschauung mit der uns zur Verfügung stehenden Sprache darzulegen, mit einer gewissen Ungenauigkeit behaftet sind und es nicht vollends zu treffen vermögen, was die metaphysische Weltanschauung eigentlich ist. Denn mit der Sprache der Weltbewohner müssen wir über die Welt als Ganzes reden, welches nur zu bis zu einem gewissen Punkte gelingen kann.
Schließlich sind es wohl die unergründlichen Fragen „Warum ist etwas wirklich?“ und „Warum ist wirklich, was wirklich ist?“, in welchen die gesamte Problematik der Verhaftung unseres Verstandes in der Welt kulminiert und worin er zum Ausdruck bringt, dass er eben kein außerhalb der Welt sich befindender idealer Verstand ist, sondern mitten darin sitzt. Wie in den Epilegomena zur Metaphysik bemerkt ist, sagen diese Fragen keinen echten epistemologischen Mangel aus. Ein solcher könnte auch einen idealen Verstand betreffen; aber die zutiefst empfundene Ratlosigkeit ob der Wirklichkeit, die sich stattdessen in diesen Fragen widerspiegelt, überkommt nur einen in der Wirklichkeit selbst sich befindenden Verstand.
Mit der Ankündigung zu Beginn dieser Schrift, die hier behandelten Fragen gehörten zu den schwierigsten überhaupt, haben wir wohl kaum zu hoch gegriffen. Immer wieder sind wir um die so unüberwindbaren Grundprobleme jedes Philosophierens gekreist, immer wieder dabei in bodenlose Aporie geraten. Wer könnte uns das verdenken? Alles – und dieser Begriff sei im weitestmöglichen überhaupt denkbaren Sinne verstanden – ist ein unerträgliches Rätsel.