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Über das geistige Sein und das Denken

Geistig ist, was gedacht werden kann – dieser Satz, welcher wie sein Gegenstück „Wirklich ist, was wahrgenommen wird“ zugleich Definition und Theorem ist, steht am Anfang der Lehre vom geistigen Sein. Und wirft sogleich eine ganze Reihe an Fragen auf: Was ist Denken? Was bedeutet es, gedacht werden zu können, warum impliziert diese Eigenschaft allein schon ein Sein und welches Wesens ist dieses Sein? Welche Aussagen können wir über die Struktur und Ordnung des Geistigen treffen? In der Metaphysik sind diese Fragen nur kurz behandelt. Hier wollen wir eine weit ausführlichere Diskussion geben und eine allgemeine und umfassende Theorie des Denkens sowohl als der geistigen Entitäten entwickeln.

Zunächst ist das Denken, genauso wie die sinnliche Wahrnehmung und das Empfinden, eine in der Wirklichkeit vorgefundene Erscheinung; deren Sitz üblicherweise als Verstand bezeichnet wird, während das Empfinden im Gemüte angesiedelt ist und die Gesamtheit der sinnlichen Wahrnehmung die Außenwelt darstellt. Als solche besitzt das Denken ihm eigentümliche Charakteristika, welche es von Empfinden und sinnlicher Wahrnehmung unterscheiden; es konstituiert sich in Gedanken, die sich im Wirklichen vorfinden, das ist gedacht werden, und welche wir noch einer genaueren Charakterisierung zu unterwerfen haben werden; wohingegen das Empfinden in Gefühlen und die sinnliche Wahrnehmung in den mannigfaltigen Gegenständen der Außenwelt besteht.

Das Vorhandensein von Denken als einer Erscheinungsform des Wirklichen impliziert offensichtlich das Vorhandensein von Wirklichem überhaupt; welches der Inhalt des berühmten cogito ergo sum ist. Indes gilt die Umkehrung nicht: Wir finden zwar empirisch das Denken in der Wirklichkeit vor, doch besteht kein Grund, warum das notwendigerweise so sein sollte. Nicht nur ist eine Wirklichkeit, in der nur sinnliche Wahrnehmung und Empfinden bestehen, leicht vorstellbar; sondern schon die tatsächlich existierende kommt einem derartigen Zustand nicht selten zumindest nahe, in welchem das Denken fast gänzlich unterdrückt ist.

Derartige Betrachtungen mögen den Eindruck erwecken, dass es sich beim Denken um eine beliebige Erscheinung unter mehreren handelt, die in der Wirklichkeit auftreten können, welche wie jede solche Erscheinung ihre Eigenheiten besitzt, sich sonst aber von den übrigen nicht besonders abhebt. So verhält es sich aber keineswegs. Was das Denken ganz grundsätzlich und fundamental vor allen anderen Erscheinungen auszeichnet, ist dass es die unabdingbare Voraussetzung jedweder Erkenntnis ist. Das Erkennen von wahren Aussagen über die Welt, im weitestmöglichen Sinne schlechthin verstanden, ist überhaupt nur vermittelst und in der Form des Denkens möglich. In einer Wirklichkeit, in welcher das Denken nicht besteht, kann es keine Erkenntnis und kein Wissen, das ist ein unmittelbares Bewusstsein von Eigenschaften der Welt geben. Die in einer solchen Wirklichkeit etwa vorhandene sinnliche Wahrnehmung korrespondiert deshalb zu keinem Wissen; die Gegenstände der sinnlichen Wahrnehmung sind dann einfach an und für sich da, ohne ein bewusstes Erkennen ihrer Existenz; erst der Verstand vermag aus der sinnlichen Wahrnehmung das bewusste Wissen um die Existenz des Wahrgenommenen zu ziehen. Der Charakter und die Bedeutung des Denkens sind derart fundamental, dass Objekte oder Sachverhalte, die undenkbar sind, das ist die der Verstand sich außer Stande sieht zu denken, absolut, in der weitgehendsten uns fasslichen Weise inexistent beziehungsweise unmöglich sind; sodass „undenkbar“ allgemein zu „unmöglich“ synonym gebraucht wird. Ebenso besitzt eine Gesetzmäßigkeit, welche vom Verstande durch reines Denken erkannt wird, die größtmögliche Universalität überhaupt.

Diese herausragende Rolle des Denkens hat bemerkenswerte Konsequenzen; bevor wir uns jedoch diesen zuwenden, wollen wir eine ausführliche Charakterisierung des Denkens als empirisches, in der Wirklichkeit vorgefundenes Phänomen geben. Dabei wird unsere Darstellung gewiss nicht umfassend sein, das ist wir sehen davon ab, eine ohnehin kaum erreichbare vollständige Beschreibung dieses Phänomens in jeder Einzelheit anzustreben; stattdessen wird die Notwendigkeit der philosophischen Untersuchung die Schwerpunkte vorgeben und uns die hierfür relevanten Aspekte des Denkens herausgreifen lassen.

Sowohl die rein semantische Tatsache, dass das Wort „denken“ meist zur Bezeichnung einer zeitlich ausgedehnten Tätigkeit verwendet wird, als auch die intuitive Empfindung eines Gedankenstroms, welcher das Denken scheinbar konstituiert, legen nahe, dass es sich beim Denken zuvörderst um einen Vorgang handelte. Dies stünde jedoch im Widerspruch zu der Tatsache, dass die Wirklichkeit nur als Gegenwart existieren kann. Und tatsächlich bedarf das Denken bei näherer Betrachtung auch keiner Ausdehnung über mehrere Wirklichkeitseinheiten, das ist Augenblicke, sondern ist in jedem einzelnen, in dem es denn vorhanden ist, vollumfänglich vorhanden. In jeder Wirklichkeitseinheit bestehen ein oder mehrere Gedanken, die wie alles Wirkliche von Wirklichkeitseinheit zu Wirklichkeitseinheit der Änderung unterworfen sind, jedoch in jeder einzelnen das Denken konstituieren. Wenn es sich dennoch unserer Intuition nach ganz anders verhält, wir nämlich oftmals den Eindruck haben, dass ein Gedanke nach und nach, in Form eines Satzes, durch den Verstand zieht: So ist es in Wahrheit aber so, dass der Gedanke sich allmählich im Verstande aufbaut und erst am Ende eigentlich gedacht wird; zuvor aber besteht er nur unvollständig, das heißt ein Denken ist gar nicht vorhanden, oder es ist zumindest nur unvoll­stän­dig vor­h­a­nden.

Werfen wir nun einen Blick darauf, wie sich Gedanken an sich charakterisieren lassen. Grundsätzlich gibt es zwei prinzipiell verschiedene Arten von Gedanken: Solche, die Objekte, und solche, die Aussagen zum Gegenstande haben. Objekte, die Gegenstand eines Gedankens sein können, sind etwa: eine Zahl oder geometrische Figur; ein Wort oder ein Satz der Sprache; ein physischer Gegenstand; eine Melodie; eine Farbe; ein Vorgang oder Ereignis; eine Person; ein abstraktes Konzept; eine Erzählung oder Abhandlung; oder ein Gefühl. Ja schlichtweg alles, wovon der Verstand sich einen genauen Begriff zu machen vermag, kann Objekt des Denkens sein.

Im Gegensatz dazu bestehen Aussagen, die Gegenstand des Denkens sind, in Sätzen über die Objekte und ihre Verhältnisse, welche der Verstand in eine bestimmte Beziehung zur Wahrheit setzt. Dies kann in affirmativer Weise geschehen, das ist indem er einen Satz denkt, denkt der Verstand ihn zugleich als wahr; in negativer Weise, das ist er denkt ihn zugleich als unwahr; oder aber in dubitativer Weise, das ist er denkt ihn weder als wahr noch unwahr und stellt sich stattdessen die Frage, welches von beiden zutreffe. Ein Satz kann dabei durchaus auch als Objekt gedacht werden: Wenn er an und für sich gedacht wird, ohne dass der Verstand ihn in einem bestimmten Verhältnis zur Wahrheit denkt, welches allein ihn zur Aussage macht.

Die Sätze, in denen Aussagen bestehen, können von zweierlei Art sein (in gewisser Hinsicht gibt es auch noch eine dritte Art, auf die wir unten kommen): Sie können sich allein auf den Objekten intrinsische Eigenschaften und Verhältnisse beziehen; oder aber das Wirklichsein oder Nichtwirklichsein von Objekten beinhalten, wobei aber nicht ausgeschlossen ist, dass der Satz zusätzlich einen rein auf die Eigenschaften von Objekten sich beziehenden Bestandteil enthalte. Beispielsweise fällt der Satz „Die Summe aus zwei und drei ist fünf“ in die erste Kategorie, da er ein den Objekten zwei, drei und fünf intrinsisches Verhältnis beschreibt. Hingegen ist der Satz „Es regnet“ von der zweiten Kategorie; denn er bezieht sich auf eine Tatsache der Wirklichkeit: dass der Regen wirklich ist. Dabei müssen die ersteren nicht notwendigerweise abstrakte und die letzteren nicht notwendigerweise konkrete Objekte zum Gegenstand haben. Der Satz „Wenn es regnet, wird die Erde nass“ setzt allein Objekte in Beziehung, nämlich den Vorgang des Regnens, die Erde und den Zustand der Nässe, ohne dass das Wirklichsein dieser Objekte eine Rolle spielte. „Ich denke gerade die Zahl fünf“ ist ein Beispiel für der umgekehrten Fall: Er sagt aus, dass die Fünf wirklich ist.

Die Art der Wahrheit, in Beziehung zu welcher der Verstand einen Satz denkt, ist im Falle der ersten Klasse von Sätzen eine absolute Wahrheit: Denkt er sie als wahr, dann als absolut wahr, das ist schreibt ihnen die größte ihm vorstellbare Allgemeingültigkeit zu. Im zweiten Falle hingegen ist es eine relative, auf die konkrete Gegenwart bezogene Wahrheit: Wenn der Verstand „Es regnet“ als wahr denkt, dann denkt er diesen Satz keinesfalls als allgemeingültig, sondern nur in Bezug auf die tatsächlich vorhandene Wirklichkeit wahr. Es gibt zwei Ausnahmen: Einerseits Sätze der Art „Es regnet oder die Summe aus zwei und drei ist fünf“, welche auf die Wirklichkeit bezogene und rein Objekte betreffende Bestandteile besitzen und für deren Wahrsein die Wahrheit der ersteren irrelevant ist; und andererseits Tautologien der Art „Entweder es regnet oder es regnet nicht“. Dabei können letztere aber auch als einer dritten Art von Sätzen zugehörig betrachtet werden: Denn „Es regnet oder es regnet nicht“ ist ein Spezialfall des Grundsatzes von der Eindeutigkeit der Wirklichkeit, dass etwas entweder wirklich ist oder nicht, welcher ein metaphysischer Satz ist. Unter diese dritte Kategorie der metaphysischen Sätze fallen viele philosophische Aussagen wie etwa „Geistig ist, was gedacht werden kann“, „Zwischen zwei Wirklichkeitseinheiten besteht stets eine Vor-Nach-Beziehung, welche transitiv ist“ oder aber auch die vorliegende Schrift selbst. Wir haben uns mit der Problematik solcher metaphysischen Aussagen, die gänzlich über die gewöhnlichen, auf die Objekte an sich oder die Wirklichkeit bezogenen Aussagen hinausgehen und außerhalb von diesen stehen, und deren Betrachtung leicht zu Selbstbezüglichkeit und infinitem Regress führen kann, bereits in der Schrift Über das Verhältnis von metaphysischer und immanenter Weltsicht befasst, und es soll uns damit nicht erneut zu tun sein. Ebenso wenig jedoch werden die Sätze der zweiten Art, die sich auf die Wirklichkeit beziehen, in dieser Schrift von Belang sein: Allein jene der ersten Art, die ausschließlich die Eigenschaften und Beziehungen der Objekte an sich zum Gegenstand haben, werden wir in den weiteren Überlegungen betrachten; denn diese sind es, die für das geistige Sein relevant sind.

Nebenbei sei hier bemerkt, dass wir mithilfe der obigen Einsichten den alten Streit zwischen den konkurrierenden Schulen des Rationalismus und des Empirismus über die Frage, ob unsere Erkenntnis zuvörderst dem Denken oder der empirischen Anschauung entspringe, in der Weise auflösen können, dass das Denken für alles Erkennen von wahren Aussagen notwendig ist, da es dessen Form selbst darstellt; das empirische Anschauen aber zusätzlich notwendig ist für jede Erkenntnis, die nicht nur die Verhältnisse der Objekte an sich betrifft, sondern auch die Frage, welche Objekte wirklich seien.

Wenden wir uns nun einem alten und schwierigen Problem zu, nämlich der Beziehung zwischen Denken und Sprache; darunter fallen die Fragestellungen, ob ein Denken ohne Sprache möglich sei und ob die Beschaffenheit der Sprache des Denkenden Einfluss auf die Art seines Denkens besitze. Was die Beantwortung von ersterer so schwer macht, ist dass das einzige Denken, welches wir kennen, unser eigenes, sich zwar der Sprache bedient und sich darin ausformt, wir daraus aber nicht schließen dürfen, dass dies notwendigerweise auf jedes Denken zutrifft, welches in der Wirklichkeit auftreten könnte.

Denn um einer Instanz in der Wirklichkeit die Fähigkeit zu denken zusprechen zu können, genügt es, dass sie in der Lage ist, sowohl von Objekten als auch Aussagen sich einen genauen Begriff zu machen. Aufgrund der Beschränktheit unserer empirischen Erfahrung aber fällt uns das Vorstellen eines Denkens, welches eine zu dem uns wohlbekannten Denken gänzlich heterogene Gestalt annimmt, schwer. Ein solches exotisches Denken könnte sich in einer uns ganz unbegreiflichen Art ausformen und zu der nötigen Schärfe des Begriffes auf gänzlich anderem Wege gelangen als vermittelst der Sprache, wie wir sie kennen. Fasst man allerdings den Ausdruck „Sprache“ weiter als gewöhnlich und versteht darunter ganz allgemein ein Hilfsmittel zur Erzielung dieser begrifflichen Schärfe: So ist es gut vorstellbar, wiewohl es spekulativ bleibt, dass sich alles prinzipiell mögliche Denken einer Sprache bedient.

Betrachten wir aber dennoch etwas genauer – der eingeschränkten Allgemeinheit einer solchen Betrachtung zum Trotz – die Beziehung von Denken und Sprache in der konkret vorhandenen Wirklichkeit. Wir finden darin zwei Arten von Sprache vor: einerseits die natürlichen Sprachen, etwa diejenige, in welcher diese Schrift selbst verfasst ist, welche durch keine bewusste Gestaltung entstanden sind, sowie an diese angelehnte Sprachen wie Zeichen- und Bildsprachen; und andererseits die formalen logischen Sprachen, die zu dem Ziele entwickelt wurden, eine noch größere Schärfe des Begriffes zu ermöglichen, als es die natürlichen Sprachen schon tun. Der eigentliche Kern dieser formalen Sprachen vermag indes viel weniger des Denkbaren abzubilden als die natürlichen Sprachen: Denn ihr Instrumentarium dient mehr dazu, die Beziehungen und Eigenschaften von Objekten in abstracto wiederzugeben, als die vielfältigen Objekte, welche der Verstand denken kann, an sich abzubilden. Kombiniert man indes natürliche und formale Sprache: So vermag der Verstand mithilfe eines solchen Werkzeugs eine derartige Präzision bei gleichzeitiger Weitheit seines Denkfeldes zu erzielen, dass er in manchen Aspekten einem idealen Denken, welchen Begriff wir unten genauer behandeln werden, bereits nahekommt.

Trotz der großen Wichtigkeit, welche die Sprache für das empirisch vorgefundene Denken besitzt, ist sie diesem dabei stets nur ein Hilfsmittel. Die Grenzen meiner Sprache bedeuten die Grenzen meiner Welt: Das ist in dieser Apodiktik sicher falsch. Wie hätte dann überhaupt die philosophische oder wissenschaftliche Art der Weltbetrachtung entstehen können, lässt sich fragen; enthielt doch die Sprache, als diese aufkamen, nur Begriffe für Dinge aus der einfachen damaligen Lebenswelt. Allein schon die Phänomene des Neologismus und des Neosemantismus beweisen das Primat des Denkens über die Sprache: Von Fällen abgesehen, in denen ein Neologismus nur stilistischen Zwecken dient, kann er nur entstehen, wenn der Verstand ein Objekt oder Verhältnis denkt, welches keine Entsprechung in der Sprache besitzt; empfindet er eine solche als nötig, um in seinem Denken zu größerer Klarheit zu gelangen (oder auch zum Zwecke der Mitteilung), schafft er einen neuen Begriff und erweitert die Sprache. Tatsächlich ist es gar nicht selten, dass der Verstand der Sprache vorauseilt und Verhältnisse denkt, die sich nur mit viel Mühe durch die Sprache wiedergeben lassen; wiewohl diesem Denken eine gewisse Unschärfe anhaftet, bis der treffende neue Begriff geschaffen ist.

Allerdings ist das Primat des Denkens über die Sprache nur im Prinzip gültig. Obgleich der empirisch vorgefundene Verstand grundsätzlich nicht durch die Sprache darin eingeschränkt ist, was er denken könnte, beeinflusst ihn diese in der Praxis häufig darin, was er tatsächlich denkt; welches ein Aspekt seiner Imperfektion ist, welcher wir uns unten zuwenden werden. Denn da die Sprache ihm zwar ein Hilfsmittel, indes ein nahezu unentbehrliches Hilfsmittel ist, ist das Denken über die Sprache hinaus oft mit Anstrengung und Mühe verbunden, welche der Verstand, ob einer gewissen ihm innewohnenden Trägheit, oftmals scheut. Man stelle sich etwa eine Sprache vor, welche keine Zahlwörter oder keine Möglichkeiten zum Ausdruck der Irrealität besitzt: Einem Verstande, der nur über eine solche Sprache verfügte, fiele es ungemein schwer, Zahlen oder das Verhältnis der Irrealität zu denken, und wenn es doch gelänge, würden sie wohl kaum mit Schärfe gedacht. Dass indes das Erlernen zusätzlicher Sprachen die Fähigkeiten des Verstandes erweitere, kann nur bedingt behauptet werden: Dafür sind sich die entwickelten Kultursprachen untereinander zu ähnlich. Selbst wenn also etwa das Deutsche mit dem Wort „Schadenfreude“ oder der Unterscheidung von „scheinbar“ und „anscheinend“ Ausdrucksmöglichkeiten besitzt, die in vielen anderen Sprachen nicht vorhanden sind (wie diese ebenso solche besitzen, die dem Deutschen fehlen), so hat das nur geringen Einfluss auf das Denken, kann man diese Konzepte doch in wenigen Worten umschreiben. Wenn also die zuvor genannten Beispiele von Ausdrucksmangel einer steilen Felswand vergleichbar sind, die das Denken zwar prinzipiell überwinden kann, jedoch nur mit großer Mühe, so lassen sich die Unterschiede im Ausdrucksvermögen zwischen den entwickelten Kultursprachen eher einer leichten Hangneigung vergleichen, die das Denken ganz sanft in eine Richtung lenkt. Nebenbei sei bemerkt, dass in unserem Zusammenhang vielleicht sogar noch das beste Beispiel das Wort „geistig“ selbst ist, welches in vielen europäischen Sprachen mit Wörtern wiedergegeben wird, die entweder „spirituell“ oder „mental“ bedeuten; welche es beide keineswegs treffen, da „spirituell“ den Eindruck einer eigenständigen Wesenheit erweckt, „mental“ hingegen eine Existenz allein im und durch den Verstand nahelegt, wodurch die verwickelte und höchst subtile Beziehung zwischen Denken und geistigem Sein, die noch in aller Ausführlichkeit zu behandeln sein wird, verloren ginge. Soviel zum Verhältnis von Sprache und Denken.

Wir haben oben herausgestellt, dass das Denken in jedem Augenblick, in dem es denn existiert, vollumfänglich existiert und grundsätzlich keiner Ausdehnung über mehrere Wirklichkeitseinheiten bedarf. Was wir aber durchaus vorfinden, ist das zeitliche Aufeinanderfolgen verschiedenen Denkens, welches jeweils in einer eigenen Wirklichkeitseinheit realisiert ist. So könnte etwa in Wirklichkeitseinheit A die Aussage X gedacht werden, in Wirklichkeitseinheit B das Objekt Y und in C sowohl X als auch Y. Dabei setzen wir hier eine geordnete Zeitlichkeit voraus, was für fast alle philosophischen Überlegungen unabdingbar ist; und sogar diejenigen, die sie nicht voraussetzen, könnten als philosophische Überlegungen selbst nicht ohne diese Zeitlichkeit bestehen. Wir nehmen damit eine erste, sehr elementare Idealisierung vor: Wir stellen uns das Denken, wie wir es in der gegenwärtigen Wirklichkeit vorfinden, als zeitlich hinreichend ausgedehnt, in einer stets gleichbleibenden Form, vor. Ein wesentliches Charakteristikum dieses Denkens ist, dass es begleitet ist von Erinnerungen des Verstandes an vorheriges Denken, das ist zuvor gedachte Aussagen und Objekte. Dies erlaubt es, Regeln ausfindig zu machen, nach denen sich die Abfolge von gedachten Objekten und Aussagen vollzieht. Zwar erscheinen diese häufig spontan im Verstande, das ist ohne erkennbaren Zusammenhang mit zuvor gedachten Objekten und Aussagen, was dann oft, aber nicht notwendigerweise, auf einen Reiz aus der Außenwelt zurückgeht; doch ist das nicht immer so, indem sie ebenso häufig zu diesen in einer ganz bestimmten Beziehung stehen, welche der Verstand deshalb herstellen kann, weil diese in seiner Erinnerung vorhanden sind. Die Beziehung zwischen Objekten, die nacheinander gedacht werden, ist die Assoziation: Assoziiert sind zwei Objekte, wenn sie in einer hinreichend signifikanten Teilmenge ihrer Eigenschaften übereinstimmen oder wenn es eine Kette von dritten Objekten gibt, die vom einen zum anderen Objekt reicht und in der die Glieder jeweils zueinander in dem besagten Verhältnis stehen.

Auch die Abfolge von Aussagen kann vermittelst der Assoziation geschehen, indem die Objekte, die in den Aussagen vorkommen, oder die Sätze, in welchen sie bestehen, assoziiert sind. Jedoch es besteht noch eine zweite Art der regelhaften Abfolge von Aussagen im Verstande, das logische Schließen. Wenn etwa im Verstande zunächst die Aussagen auftreten, dass wenn eine Zahl auf die Ziffer Fünf endet, diese ungerade ist, sowie dass die Zahl Fünfzehn auf die Ziffer Fünf endet; daraufhin aber die Aussage, dass die Zahl Fünfzehn ungerade ist: So ist diese Abfolge von Aussagen gemäß einer bestimmten Regel vor sich gegangen, in diesem Falle dem Modus ponens. Dementsprechend scheint ein gewisses, dem Verstande intrinsisches Instrumentarium von Regeln dem Denken seinen Stempel aufzudrücken und die Abfolge von Aussagen darin zumindest zum Teil zu bestimmen: Dieses Instrumentarium ist die Logik. Diese Logik als Form des Denkens schlechthin müssen wir prinzipiell unterscheiden von den verschiedenen logischen Systemen, wie etwa der klassischen oder der Prädikantenlogik, welche Gegenstand des Denkens sein können, und nicht notwendigerweise seine Form an sich bestimmen. Das wirft aber die entscheidende Frage auf, welchem der logischen Systeme denn dann die Vorzugsstellung zukomme, die dem Verstande intrinsische Logik am besten zu beschreiben; an dieser Stelle soll uns diese jedoch noch nicht bekümmern, da ihre Behandlung späterhin noch einen großen Teil dieser Schrift einnehmen wird. Steht jedenfalls im Gegensatz dazu eine vom Verstande gedachte Aussage in keinem logischen Verhältnis zu einer zuvor gedachten und in der Erinnerung aufbewahrten Aussage, so sagen wir, diese entspringe der Anschauung. Ein Objekt hingegen, welches ohne Assoziation im Verstande auftaucht, bezeichnen wir als der Imagination entsprungen.

Neben der Regelhaftigkeit, mit welcher Aussagen im Verstande gemäß der Logik aufeinanderfolgen, springt noch eine weitere Erscheinung unmittelbar ins Auge, wenn man das Sichabwechseln der vom Denken hervorgebrachten Aussagen betrachtet. Und zwar kommt es vor, dass zwei in verschiedenen Augenblicken gedachte Aussagen zueinander gegenteilig sind; das ist beide sind affirmativ und die Sätze, die sie konstituieren, sind jeweils die Negation des anderen, oder der gleiche Satz wird einmal in affirmativer und einmal in negativer Weise gedacht. Dieses Phänomen ist der Irrtum. Dieser drängt sich der Betrachtung deshalb unmittelbar auf, weil wir oben das Denken zur alleinigen Quelle der Erkenntnis erklärt haben, in dessen Form diese überhaupt nur möglich ist. Wenn dem aber so ist, welche der beiden Aussagen, die als erste oder die als zweite gedachte, repräsentiert dann die Wahrheit? Diese Frage ist noch nicht einmal der kritischste Aspekt der Problematik, welche der Irrtum aufwirft; denn in den meisten Fällen ist das Auftreten der zweiten Aussage im Verstande begleitet von einem Bewusstsein, warum die erste Aussage eben doch nicht wahr war; weshalb es leichtfällt, die zweite Aussage zu derjenigen zu erklären, die die Wahrheit darstellt. Was hingegen noch weit beunruhigender am Phänomen des Irrtums ist, ist folgende Überlegung: Wir finden empirisch, dass der Verstand bisweilen irrt; wie können wir uns da jemals gewiss sein, dass eine von uns gedachte Aussage auch tatsächlich die Wahrheit abbildet und nicht von einer später im Verstande auftretenden Aussage umgestürzt wird?

Aus diesem Grunde handelt es sich beim Irrtum um die gewichtigste der Inidealitäten des empirisch vorgefundenen, in der tatsächlichen Wirklichkeit realisierten Verstandes. Zu diesen zählen noch weitere Unvollkommenheiten in unserem Denken: Objekte und Aussagen vermögen wir niemals in perfekter Schärfe zu denken, sondern ihrer Erscheinung im Verstande haftet immer eine gewisse Ungenauigkeit an; unser Verstand ist nicht in der Lage, aller zuvor gedachten Aussagen sich zu erinnern und diese in sein gegenwärtiges Denken einzubeziehen, noch eine beliebig große Anzahl an Aussagen und Objekten gleichzeitig zu denken; er kann nicht absolut beliebige Objekte denken, das ist es gibt Objekte, die ihm undenkbar sind, obwohl sie nicht in sich widersprüchlich sind, weil sie entweder außerhalb seines Begriffskreises und Vorstellungsvermögens liegen oder aber zu komplex und eigenschaftsreich sind, als dass sie ihm fasslich wären; er existiert nur für eine endliche Zeitspanne und sein Denken ist zeitlich grundsätzlich begrenzt; schließlich befolgt er die Regeln des logischen Schließens, obgleich sie ihm intrinsisch sind, ja einen essenziellen Bestandteil seines Wesens darstellen, nicht immer in vollkommener Weise, sondern begeht darin bisweilen Fehler. Letzteres ist dabei nicht gänzlich gleichbedeutend mit seiner Anfälligkeit für den Irrtum, da die bloße logische Fehlerfreiheit noch keine Irrtumsfreiheit impliziert und Irrtümer auch ohne logische Fehler möglich sind; wiewohl die Umkehrung durchaus gilt, da eine regelmäßig fehlerhafte Anwendung der Logik zwangsläufig zu Irrtümern führt.

Indem wir diese Eigenschaften des empirisch gegebenen Verstandes zu Inidealitäten erklärt haben, fällt es uns nicht mehr allzu schwer, darzulegen, was wir unter einem idealen Verstande verstehen. Bei einem solchen handelt es sich, das ist vorwegzunehmen, um eine durch und durch hypothetische und theoretische Konstruktion, die niemals in der Wirklichkeit existieren kann. Dennoch wird sich zeigen, dass aus den Eigenschaften und Strukturen des idealen Verstandes heraus sich die Eigenschaften und Strukturen des geistig Seienden bestimmen, welches zwar nicht wirklich ist, aber dennoch eine eigentliche, eben geistige Existenz besitzt; ja vermittelst des besonderen Verhältnisses, dass jedes wirkliche Objekt eine geistige Entsprechung besitzen muss, bestimmt sich daraus sogar die Menge des potentiell Wirklichen, aus welcher das tatsächlich Wirkliche geschöpft ist.

Ein idealer Verstand ist gänzlich ohne Beschränkung seines Begriffskreises und seines Fassungsvermögens und damit in der Lage, beliebige nicht in sich widersprüchliche Objekte zu denken; und zwar ist die Vorstellung, die er sich von diesen macht, kristallklar und von größtmöglicher Schärfe. Er behält grundsätzlich sämtliche jemals zuvor gedachten Aussagen und Objekte im Gedächtnis und kann deren beliebig viele gleichzeitig und beliebig große denken; und er existiert für eine unbegrenzte Zeit. Er ist damit potentiell, wiewohl nicht aktual unendlich. Schließlich ist er frei von jedem Irrtum, das ist sein Denken ist stets konsistent, woraus insbesondere folgt, dass er die Gesetze der Logik, die ihm eigen sind, mit perfekter Regelhaftigkeit befolgt.

Diese Eigenschaften sind dabei allesamt Extrapolationen, die von den uns wohlbekannten Eigenschaften unseres eigenen, durch und durch inidealen Verstandes ihren Ausgang nehmen. Am kritischsten ist diese Extrapolation im Falle der erstgenannten Eigenschaft eines idealen Verstandes: Die Definition, dass ein idealer Verstand ohne Beschränkung seines Begriffskreises ist und – sein unbegrenztes Fassungsvermögen, welches eine weit weniger kritische Eigenschaft darstellt, zusätzlich vorausgesetzt – beliebige Objekte zu denken vermag, erscheint problematisch, da wir schwerlich angeben können, was denn beliebige Objekte im weitestmöglichen Sinne seien; ja vor dem Hintergrund, dass wir die geistig seienden Objekte als diejenigen definieren werden, die von einem idealen Verstande gedacht werden können, wirkt die Definition sogar zirkulär. Diese Zirkularität ist allerdings nur scheinbar: Denn der hier verwendete Ausdruck, dass der ideale Verstand beliebige Objekte denken kann, rekurriert noch nicht auf die später eingeführte Menge aller geistig seienden Objekte; stattdessen ist er an dieser Stelle als eine Ausdehnung des uns aus unserem eigenen Denken unmittelbar gegebenen Begriffs der Vielfältigkeit der gedachten Objekte über jede Grenze dieser Vielfältigkeit hinaus zu verstehen. Denn wir machen die Erfahrung, dass die Objekte, die wir denken, sich von großer Vielfalt zeigen sowohl in der Ausprägung als auch dem fundamentalen Wesen ihrer Eigenschaften; mehr noch, aus der Erfahrung ist uns unmittelbar das Phänomen bekannt, dass sich unser Begriffskreis erweitert, das ist dass wir mit einem Male Objekte zu denken beginnen, von welchen wir uns zuvor nicht einmal hätten vorstellen können, sie zu denken, weil sie sich wesenhaft von allen zuvor gedachten Objekten unterscheiden und sie sich, anders als im gewöhnlichen Falle, wenn neue Objekte gedacht werden, kaum unter bekannte Klassen von Objekten subsumieren lassen, oder aber diese von allerallgemeinster Natur sein müssen, um die neuen Objekte überhaupt noch aufnehmen zu können. Bei der Konstruktion der in Rede stehenden Eigenschaft eines idealen Verstandes können wir nun so vorgehen, dass wir von der durch unser eigenes Erleben und Erfahren gegebenen und damit noch wohlgegründeten Eigenschaftsvielfalt der von uns gedachten Objekte ausgehen; diese dann aber unter Bezugnahme auf die ebenfalls noch durch unser eigenes Erfahren wohlgegründete Erscheinung der Begriffskreiserweiterung über jede Erfahrung hinaus extrapolieren, indem wir einen Verstand, der beliebige Objekte zu denken vermag, definieren als einen, der nicht nur durch ein unbegrenztes Fassungsvermögen keinen Einschränkungen bezüglich der Komplexität der von ihm gedachten Objekte unterliegt, sondern insbesondere auch jegliche Begrenzungen seines Begriffskreises überschritten hat und keiner solchen Überschreitung mehr fähig ist, und bei dem die Vielfalt der Objekte, die er denken kann, somit unendlich groß ist.

Da wir uns aber selbstredend von einem Denken, das über jedes gewöhnliche, von den Grenzen eines Begriffskreises eingehegte Denken hinausgeht, keinen Begriff machen können, sind uns dieses Charakteristikum des idealen Verstandes und seine Auswirkungen am unfasslichsten; es verhält sich damit anders als mit den anderen Eigenschaften, etwa der Fähigkeit, sämtliche gedachten Aussagen und Objekte im Gedächtnis zu behalten, die zwar auch Extrapolationen vom mängelbehafteten realen Verstande aus darstellen, von welchen sich jedoch einen Begriff zu machen uns nicht allzu schwer fällt. Das Verhältnis bereitet uns große Schwierigkeiten, doch gehen diese wohl nicht so weit, dass sie unsere Konstruktion des idealen Verstandes unzulässig machen würden und uns den Rückgriff auf diese imaginäre Entität benähmen.

Bemerkt sei hier auch, dass selbst die Fähigkeit, beliebige Objekte zu denken, nur eine potentielle und keine aktuale Unendlichkeit des idealen Verstandes impliziert, ebenso wie etwa seine Fähigkeit, beliebig lange zu existieren und jede gedachte Aussage im Gedächtnis zu behalten; denn wir setzen nur an, dass er beliebige Objekte denken kann und nicht etwa denkt. Eine aktuale Unendlichkeit ist dem Phänomen des Denkens grundsätzlich derart fremd, dass wir sie ihm selbst in seiner idealen Ausprägung nicht zuschreiben können. Tatsächlich wird dieses wichtige Charakteristikum späterhin nicht unbedeutende Konsequenzen bei der Betrachtung des geistig Seienden entfalten.

Kehren wir nun, nachdem wir die hypothetische Idealform des Denkens konstruiert haben, die aber doch nie und nirgends tatsächlich existieren kann, zur Betrachtung seiner zwar mängelbehafteten und unvollkommenen, dafür aber in der Wirklichkeit als empirische Erscheinung vorgefundenen Ausformung zurück, welche das Denken unseres eigenen Verstandes ist; und versuchen nun endlich, den Herausforderungen zu begegnen, welche die beschriebenen Imperfektionen dieses Denkens, allen voran der Irrtum, für die Aussage vom Beginn dieser Schrift darstellen, dass das Denken die unabdingbare Voraussetzung jedweder Erkenntnis ist. Die darin vordergründig zum Ausdruck kommende bloße Notwendigkeit des Denkens für die Erkenntnis ist dabei gar nicht allzu problematisch; denn eine Erkenntnis, das ist das Bewusstwerden von wahren Aussagen, ist anders als in der Form des Denkens gar nicht vorstellbar. Was aber unausgesprochen einbegriffen und eigentlich impliziert ist, wenn wir das Denken zur unabdingbaren Voraussetzung der Erkenntnis von Wahrheit erklären, ist dass es dafür nicht nur notwendig, sondern auch hinreichend ist, das ist dass wir vermittelst des Denkens zu im letztgültigen Sinne wahren Ansichten über die Dinge gelangen können; denn dass wir überhaupt dazu in der Lage sind, zu solchen Ansichten zu gelangen, ist dem Philosophieren selbst meist schon vorausgesetzt. Eben diese implizierte Fähigkeit des Denkens ist es, die sich in unserem Zusammenhang als so ungemein problematisch darstellt, da sie durch das Phänomen des Irrtums, und in geringerem Maße auch durch die anderen Inidealitäten des in der Wirklichkeit vorhandenen Denkens, grundlegend in Frage gestellt wird, wie sich aus dem oben Dargelegten ergibt. Dabei hatten wir den Irrtum in einer rein denkimmanenten Weise, als das Aufeinanderfolgen einander widersprechender Aussagen im Verstande definiert, weshalb zwar das Vorhandensein von Irrtum die Fähigkeit, zu wahren Aussagen zu gelangen, in Frage stellt, umgekehrt aber seine Abwesenheit nicht notwendigerweise diese Fähigkeit impliziert. Mit Fug und Recht kann man den Irrtum als den Stachel im Fleische desjenigen bezeichnen, der daran glaubt, dass uns die Wahrheit über die Dinge prinzipiell zugänglich ist. Wir können noch nicht einmal auf das übliche Argument zurückgreifen, dass sich die Unmöglichkeit von Erkenntnis nicht selbstkonsistent denken lässt, denn dieses garantiert nur das Vorhandensein von metaphysischer Erkenntnis im Allgemeinen, nicht jedoch von Erkenntnis über die Objekte an sich; so könnte diese metaphysische Erkenntnis gar darin bestehen, dass wir über die Beziehungen der Objekte nichts wissen können.

Mehrere Argumente tragen dazu bei, die fundamentale Herausforderung für unsere Überzeugung, dass Erkenntnis über die Dinge vermittelst des Denkens möglich ist, welche der Irrtum darstellt, bedeutend abzuschwächen. Zunächst besitzt der inideale Verstand in der Regel ein Charakteristikum, welches wir noch nicht beschrieben haben, weil es für die bisherigen Betrachtungen ein unwesentliches Detail darstellte, in diesem Zusammenhang aber durchaus nicht unwichtig ist: Er vermag nicht einfach bloß, Aussagen als wahr zu denken; sondern er kann sie alternativ dazu auch unter Vorbehalt als wahr denken, das ist er denkt sie zwar als wahr, denkt aber zugleich die Metaaussage – welche zugleich auch wieder eine Aussage ist – über jene Aussage, dass es möglich oder gar wahrscheinlich ist, dass sie das Vorderglied eines Irrtums darstellt, das ist späterhin als falsch erkannt werden wird. Dieses Denken unter Vorbehalt tritt für gewöhnlich in verschiedenen Abstufungen auf, von dem Fall, dass ein solcher Vorbehalt gar nicht besteht und sich der Verstand absolut gewiss ist, dass die gedachte Aussage wahr ist, etwa weil er sie unzählige Male von Neuem geprüft hat; über den häufigen Fall, dass er das Auftreten eines Irrtums für unwahrscheinlich aber möglich hält; bis hin zu dem Fall, dass er dieses sogar für wahrscheinlich hält, obwohl er die Aussage immer noch als wahr denkt. Dabei besteht wohlgemerkt kein Kontinuum zwischen diesen unter Vorbehalt affirmativ gedachten Aussagen und einer dubitativ gedachten Aussage; denn eine Aussage als wahr zu denken, aber gleichzeitig einen Irrtum für wahrscheinlich zu halten, unterscheidet sich immer noch fundamental davon, sie dubitativ zu denken, das ist sie weder als wahr noch als unwahr zu denken und sich die Frage zu stellen, was zutreffe. Betrachtet man jedenfalls ausschließlich Aussagen, die ohne Vorbehalt gedacht werden, das ist derer sich der Verstand ganz und gar gewiss ist: So verschwindet offensichtlich der Irrtum nicht völlig, doch ist die Häufigkeit seines Auftretens bereits drastisch reduziert. Nehmen wir etwa die große Häufigkeit, mit der wir uns bei einfachen arithmetischen Operationen irren, derer wir uns dabei völlig bewusst sind; wohingegen solche Irrtümer praktisch nicht vorkommen, wenn wir nur solche Operationen in Betracht ziehen, bei denen wir uns des Ergebnisses ganz sicher sind, weil wir es vielfach überprüft haben. Man kann dann die Ansicht, dass wir durch das affirmative Denken einer Aussage ein wahres Verhältnis der Dinge erkennen können, derart einschränken, dass wir davon nur dann ausgehen, wenn die Aussage ohne Vorbehalt, mit völliger Gewissheit als wahr gedacht wird; wodurch sich die Problematik des Irrtums bereits deutlich verringert.

Ein weiteres Argument, welches den Irrtum zumindest weniger kritisch erscheinen lässt, beruht auf einer gewissen Fixpunkteigenschaft des Verstandes. Denn wir stellen fest, dass der Verstand bisweilen zwar durchaus zunächst eine Aussage A und dann die ihr gegenteilige Aussage B als wahr denkt, welches einen Irrtum darstellt; dass aber in der Regel dann B einen Fixpunkt des Denkens darstellt, das ist dass von dem Augenblick an, da B zum ersten Male als wahr gedacht wird, fortan nur noch B als wahr gedacht wird und niemals mehr A, sodass A auch nie als wahr gedacht worden wäre, wäre B von Anfang an als wahr gedacht worden. Dies hängt damit zusammen, dass der Verstand nicht einfach willkürlich mal A und mal B für wahr hält; stattdessen tritt bei ihm, wie schon oben bemerkt, ein Bewusstsein ein, warum A falsch war, wenn er von A zu B wechselt; denn A hat er natürlich im Gedächtnis behalten und würde ohne ein solches Bewusstsein des offensichtlichen Widerspruchs gewahr, den es darstellt, erst A und dann B als wahr zu denken. Es kommt natürlich ab und an zu Ausnahmen von dieser Regel, wenn etwa zuerst B, dann A und dann wieder B als wahr gedacht wird. In diesem Falle besteht meist beim zweiten Denken von B ein Bewusstsein, warum das beim Denken von A aufgetretene Bewusstsein, dass B falsch sei, selbst wieder falsch ist; fortan wird dann nur noch B als wahr gedacht. Daran zeigt sich, dass es streng genommen nicht B alleine ist, das einen Fixpunkt darstellt, sondern B gemeinsam mit der Begründung, warum B richtig und A falsch ist, von welcher ein Bewusstsein im Verstande besteht. Es kann dann bisweilen zu einer regelrechten Iteration kommen, bei der bei jedem neuen Denken von A oder B auch die Begründung, warum die jeweilige Aussage richtig ist, sich verändert und sich ihrer finalen Form ein Stück weiter annähert, bis schließlich der Fixpunkt erreicht ist, der sich aus der Aussage B und ihrer finalen Begründung zusammensetzt. Nicht notwendigerweise muss dabei die Begründung der Richtigkeit einer Aussage sich bei einem Wechsel zwischen zwei widersprüchlichen Aussagen ändern; schließlich kommt es auch vor, dass der Verstand die gleiche Aussage wie zuvor erneut denkt, dabei aber gewahr wird, dass ihre Begründung angepasst werden muss, obwohl er die Aussage selbst nicht für falsch hält. Es gibt natürlich auch die andere Erscheinung, dass der Verstand zuerst A und dann B als wahr denkt, ohne dass bei ihm ein Bewusstsein eintritt, warum A falsch ist, weil er schlicht vergessen hat, oder sich sonstwie nicht gewahr ist, zuvor A gedacht zu haben, welches die Konsequenz einer anderen seiner Inidealitäten als des Irrtums darstellt; diesen Fall wollen wir aber nicht in Betracht ziehen, indem wir entweder ein hinreichendes Erinnerungsvermögen des Verstandes oder aber den Zugang zu in der Außenwelt vorhandenen Mitteln der Aufbewahrung zuvor gedachter Aussagen voraussetzen. Jedenfalls ergibt sich, dass, ein hinreichendes Erinnerungsvermögen des Verstandes vorausgesetzt, vermittelst der beschriebenen Iteration die Wahrscheinlichkeit mit der Zeit beliebig klein gemacht werden kann, dass eine als wahr gedachte Aussage Vorderglied eines Irrtums ist und später als falsch erkannt werden wird. Damit lässt sich freilich ein Irrtum niemals mit absoluter Gewissheit ausschließen, und selbst eine gänzlich beliebig kleine Wahrscheinlichkeit dafür lässt sich aufgrund der zeitlichen Begrenztheit des mängelbehafteten realen Verstandes nicht erreichen. Wie im Falle des vorigen Arguments jedoch wird dadurch, sofern die richtigen Voraussetzungen gestellt werden, die Bedeutung des Irrtums in der Praxis drastisch geschmälert.

Überhaupt sollte die praktische Relevanz des Irrtums nicht überschätzt werden, so groß auch die theoretische Herausforderung ist, vor die er uns stellt. Man muss zwar gewisse Voraussetzungen stellen, nämlich dass der denkende Verstand nicht zu rudimentär und inideal ist, und gegebenenfalls die oben diskutierten Vorgehensweisen anwenden, mit deren Hilfe das Auftreten des Irrtums sich drastisch reduzieren lässt: Dann aber ist der Irrtum eine immer nur vereinzelt und ausnahmsweise auftretenden Erscheinung, wohingegen der Verstand regelhaft und in der übergroßen Mehrheit der Fälle eben nicht irrt. Die besagten Verfahren zur Reduktion der Irrtumshäufigkeit lassen sich leicht zur Vorschrift für den Verstand machen; und dass das Vorhandensein eines hinreichend nichtrudimentären Verstandes in der Wirklichkeit zumindest möglich ist, beobachten wir nicht nur empirisch, sondern es beweist sich auch dadurch, dass es uns keine Schwierigkeit bereitet, dieses Vorhandensein, ja gar die Existenz eines dem idealen fast beliebig nahekommenden Verstandes, uns vorzustellen.

Wir folgern also: dass es zwar aufgrund des Irrtums für den konkret realisierten Verstand niemals möglich ist, mit letzter Gewissheit auszuschließen, dass eine von ihm für wahr gehaltene Aussage gar nicht wahr sein kann, weil sie von einer später als wahr gedachten gegensätzlichen Aussage widerlegt wird; dass aber andererseits der Irrtum, gewisse Verhältnisse vorausgesetzt, deren Erfüllung in der Wirklichkeit möglich ist und auf die man sich leicht beschränken kann, stets die Ausnahme und nie die Regel, immer ein Seltenes und Außergewöhnliches darstellt; und dass das Denken dem Grundsatz nach in sich konsistent ist. Bemerkenswerterweise aber ist diese Tatsache allein schon ausreichend für den folgenden Gang unserer Argumentation. Denn sie legt es nahe, das ist macht es plausibel, dass es sich, wenn gegensätzliche Aussagen im Verstande aufeinanderfolgen, bei zumindest einer davon um nichts weiter handelt als eine durch die Imperfektion des Verstandes verursachte Abweichung von einer Norm, welche sich durch die mehrheitliche und grundsätzliche Konsistenz konstituiert, die selbst das Denken eines imperfekten Verstandes besitzt: Diese Norm eines perfekten Denkens aber stellt gerade der oben eingeführte ideale Verstand zur Verfügung. Unter einer solchen Annahme lässt sich auch unser bisheriges Verständnis des Irrtums vom Kopf auf die Füße stellen: Hatten wir diesen bisher in einer relativen, dem empirischen Denken immanenten Weise definiert, so können wir ihn nun in absoluter Weise als die Abweichung von dem Referenzdenken des idealen Verstandes definieren.

Man kann nun natürlich noch die Frage stellen, ob nicht ein von dem empirisch gegebenen gänzlich unabhängiger Verstand, welcher in keiner durch Erinnerungen und gleichbleibenden Charakter hergestellten Kontinuität zu jenem steht, nicht ein gänzlich anderes Referenzdenken konstituieren könne, sodass es doch keine wahrhaft universelle Norm des Denkens gäbe. Die bemerkenswerte Konsistenz, die wir in dem uns gegebenen Denken vorfinden, ist zwar ein starkes Indiz dafür, dass sich diese auch auf ein dazu heterogenes Denken und somit alles Denken erstreckt; aber restlos ausschließen lässt es sich in dieser Weise nicht. Um den hier also nötigen Sprung in der Argumentation zu tun, können wir nur die eigentlich allem Philosophieren vorausgesetzte Annahme verwenden, dass was unvorstellbar ist auch unmöglich ist: Und unvorstellbar ist es uns in der Tat, dass selbst ein von dem unseren gänzlich verschiedener Verstand zu einer Aussage über die Dinge kommen könnte, die abweicht von einer Aussage, die wir als wahr denken und vielfach und gewissenhaft überprüft haben.

Indem wir die Existenz einer Norm des Denkens plausibilisiert haben, welche in eindeutiger Weise festlegt, zu welchen Ansichten über die Verhältnisse der Dinge das Denken immer wieder, von einzelnen Irrtümern abgesehen, in genau derselben Weise gelangen wird: So haben wir einen großen Schritt hin zur obigen Behauptung getan, vermittelst des Denkens ließen sich absolute, im weitestmöglichen Sinne gültige Wahrheiten auffinden. Was sich dann nur noch dagegen einwenden ließe, wäre: Dass dieses Referenzdenken, von dem das tatsächliche Denken nur in Ausnahmefällen abweicht, ja nicht notwendigerweise auch die Wahrheit über die Dinge abbilde, sondern diese womöglich ein dem Denken prinzipiell nicht zugängliches Wesen besäßen. Die Frage indes, ob dies der Fall sei, ist derart tiefgründig, dass sie sinnlos wird. Was, so ließe sich darauf erwidern, soll denn dann überhaupt Wahrheit sein, wenn nicht dasjenige, was wir denkend erkennen? Was anderes wären die Verhältnisse der Dinge an sich, als die Verhältnisse der Gegenstände unseres Denkens? Was anderes könnte man wirkliche Dinge nennen, als was wir, aus der Quelle der empirischen Anschauung schöpfend, in unserem Denken für solche halten? Nichts kann an die Stelle des Denkens treten. Unmittelbar gewiss ist uns hingegen, dass was wir denken wahr sei; und eigentlich muss diese Annahme auch jedem Philosophieren vorausgehen.

Da wir nunmehr nicht nur eine Phänomenologie des Denkens, wie es sich in der Wirklichkeit manifestiert, gegeben haben, sondern auch die besagte Grundannahme von der Fähigkeit des Denkens, absolute Wahrheiten unmittelbar abzubilden, von allen Seiten beklopft und für gut befunden haben, können wir zur zentralen Aussage dieser Schrift kommen, welche sich als die bemerkenswerte Konsequenz dieser Grundannahme ergibt. Nehmen wir an, der Verstand denkt als Aussage die Eigenschaft eines gewissen Objekts, welche in seiner inneren Struktur oder einer Beziehung zu anderen Objekten bestehen kann; nehmen wir weiterhin an, diese Eigenschaft besitze eine gewisse Nichttrivialität, welches sicherlich vielen Eigenschaften von Objekten zukommt. Wenn wir nun aber davon ausgehen, dass diese vom Verstande gedachte Aussage absolut wahr ist, dass also nicht nur der Verstand bei jedem Male, da er das besagte Objekt denkt, immer wieder von Neuem ihm dieselbe Eigenschaft zuspricht, sondern dass es schlechterdings und letztgültig unmöglich ist, dass ihm genau diese Eigenschaft nicht zukomme: Dann legt dies, in Verbindung mit dem nichttrivialen Charakter der besagten Eigenschaft, nahe, dass nicht etwa allem Denken zukommende Grundcharakteristika dafür sorgen, dass beim jedesmaligen Denken des Objekts wieder dieselbe Eigenschaft im Verstande auftritt; sondern dass vielmehr gerade umgekehrt dem Objekt ein von allem Denken, ja von aller Wirklichkeit unabhängiges, und dennoch tatsächliches Sein zukommt; welches wir als geistiges Sein bezeichnen.

Dieses Argument bedarf dabei in der Tat beider Voraussetzungen: Für die erstere ist das offensichtlich, doch auch das Vorhandensein von Objekten mit Eigenschaften, die sich durch eine gewisse Nichttrivialität auszeichnen, ist durchaus wesentlich. Zumindest nicht a priori und notwendigerweise muss nämlich der Gegenstand einer absolut wahren Aussage auch tatsächliches Sein besitzen; dafür ist dessen Lebensgrundlage zu flüchtig. Wären alle Eigenschaften, die das Denken Objekten beilegt, rundheraus trivial, so spräche die Tatsache, dass dadurch absolute Wahrheit ausgedrückt wird, wohl eher für das bloße Vorhandensein universell gültiger Regeln als für das tatsächliche Sein der gedachten Objekte. Dadurch aber, dass diese eine komplexe und nichttriviale Struktur besitzen, erscheint es sich stattdessen vielmehr so zu verhalten, dass diese Objekte gänzlich unabhängig vom Denken existieren, und das Denken, indem es deren Eigenschaften abbildet, ihre Struktur gleichsam entdeckt und erkundet. Gleichwohl soll das nicht heißen, es käme nur Objekten mit nichttrivialen Eigenschaften geistiges Sein zu: Denn es ist nicht ersichtlich, in welcher Weise sich solche Objekte derart fundamental von den anderen unterscheiden sollten, dass es gerechtfertigt wäre, ihnen einen grundsätzlich anderen ontologischen Status zuzusprechen; dementsprechend reicht es schon, dass manche Objekte nichttriviale Eigenschaften besitzen, um das geistige Sein aller gedachten Objekte plausibel zu machen.

Wir wollen diese Überlegungen an einem Beispiel erläutern. Und zwar betrachten wir folgendes Objekt: den Grenzwert der Reihe der inversen Fakultäten, wodurch es eindeutig definiert ist. Eine durchaus nichttriviale Eigenschaft, die dieses Objekt besitzt, ist etwa seine Darstellung als Dezimalzahl. Jedes überhaupt nur vorstellbare Denken wird immer auf genau dieselbe Ziffernfolge stoßen, die aber doch von keiner einfach ersichtlichen Regel bestimmt wird. Die bemerkenswerte Tatsache, dass diese Struktur sich als ganz und gar universell darstellt und es schlechterdings unmöglich und unvorstellbar ist, dass sie anders beschaffen sei, dass sie zugleich aber eine gewisse Komplexität besitzt und sich in einer nichttrivialen Weise aus der Definition ergibt, weist darauf hin, dass die so definierte Zahl unabhängig von unserem Denken existiert. Obgleich dies für die mathematischen Objekte besonders anschaulich ist, beschränkt sich die vom Denken unabhängige Existenz indes keineswegs auf diese. Als nichtmathematische Beispiele können wir etwa anführen: die einem Satz der natürlichen Sprache innewohnende Struktur, wodurch an einer speziellen Stelle aus semantischen und grammatischen Gründen nur ein ganz bestimmtes Wort auftreten kann; die Struktur eines durch eine Erzählung erzeugten Mikrokosmos von Figuren, in dessen Rahmen an einer bestimmten Stelle der Handlung die Figuren nur in einer einzigen Weise sich verhalten können, ohne dass es zu einem Bruch in der Erzählung kommt; die Struktur eines Ensembles von physischen Gegenständen, welche unter gewissen Naturgesetzen nur in einer möglichen Weise miteinander wechselwirken können. Der Satz, die Erzählung, das Ensemble physischer Gegenstände scheinen darum, genauso wie alle anderen denkbaren Objekte überhaupt, eine vom Denken unabhängige, eben geistige Existenz zu besitzen.

Das einzig mögliche Kriterium, nach dem sich in vollster Allgemeinheit bestimmen kann, was geistig ist und welche Struktur dieses geistig Seiende besitzt, ist was und wie der oben eingeführte ideale Verstand denkt. Es sind zwei verschiedene Grundeigenschaften dieses idealen Verstandes, die unabdingbar sind, um einen solchen Maßstab darstellen zu können. Einerseits ist dies seine vollkommene Fehlerlosigkeit, worunter sich die Irrtumsfreiheit, die perfekte Schärfe des Gedankens und das perfekte Erinnerungsvermögen zusammenfassen lassen. Diese ist notwendig, um, wie oben ausgeführt, die Norm eines Referenzdenkens zur Verfügung stellen zu können. Andererseits kann man für einen solchen Maßstab auch keineswegs auf die zweite Grundeigenschaft des idealen Verstandes verzichten, welche wir oben mit viel Mühe konstruiert haben, die dann aber zeitweilig etwas zurücktrat; nämlich seine Fähigkeit, beliebige Objekte zu denken. Diese ist deshalb unabdingbar, weil wir die Menge an geistig seienden Objekten nicht willkürlich darauf einschränken dürfen, was ein konkreter endlicher Verstand, der über keinen unendlich großen Begriffskreis verfügt, zu denken vermag; könnte doch eine andere Realisierung des Denkens in der Wirklichkeit in der Lage sein, ganz anderes zu denken, welchem aber ebenso geistiges Sein zuzusprechen wäre.

In gewisser Hinsicht besitzt das Verhältnis von idealem Verstand und geistig Seiendem einen paradoxen Zug: Denn der ideale Verstand existiert nie und nirgends in irgendeiner Form, doch bildet die Art, in der er Objekte dächte, wenn er tatsächlich existierte, exakt die geistig seienden Objekte ab, ja es scheint so, als bestimme sein Denken erst deren Struktur, ohne dass diese darum tatsächlich von ihm abhängig wären. Dementsprechend ist der grundlegende Satz der Lehre vom geistigen Sein, der an den Anfang dieser Schrift gestellt ist: Geistig ist, was gedacht werden kann; und nicht etwa: Geistig ist, was gedacht wird. Allgemein ist die Beziehung zwischen dem Denken und dem geistigen Sein, deren Entflechtung nebst der Darstellung der allgemeinen Struktur des geistig Seienden die Aufgabe des folgenden zweiten Hauptteils dieser Schrift sein wird, verwickelt und voll von Eigentümlichkeiten, die sich bis zu einem gewissen Grade unserem Verständnis vielleicht niemals erschließen werden.

Bevor wir uns dem besagten zweiten Teil der Schrift zuwenden, sei noch bemerkt, dass unsere Herleitung des geistigen Seins, wie schon unsere Wortwahl andeutete, indem wir auf Begriffe wie „nahelegen“ und „hinweisen“ zurückgriffen, keineswegs einen Beweis darstellt, sondern eine Plausibilisierung im Sinne der Schrift Über das Verhältnis von metaphysischer und immanenter Weltsicht. Dementsprechend sind wir auch aus der strengen metaphysischen Weltsicht herausgetreten, indem wir ein zeitlich ausgedehntes, erkenntnisfähiges Denken angenommen haben; welches beinhaltete, dass wir dieses Denken zur Quelle des Wissens über das geistig Seiende machten, während diese Quelle in der reinen metaphysischen Weltanschauung die Gesamtheit des wirklich Seienden ist. In diesem Rahmen konnten wir die Phänomenologie des Denkens entwickeln und aus dieser heraus es plausibel machen, warum alles was gedacht werden kann geistig ist. Diese Plausibilisierung ist natürlich nicht zwingend: Wenn einer die geistige Existenz von denkbaren Objekten rundheraus leugnete, obwohl dafür so überzeugend die Tatsache spricht, dass das Denken, in welcher Form es auch auftritt, immer wieder auf dieselben, oftmals höchst komplexen und strukturreichen Eigenschaften der Objekte trifft, etwa indem er dies auf eine kaum erklärliche Grundeigenschaft des Denkens zurückführte: So wäre ihm nur schwerlich beizukommen. Erst die philosophische Anschauung, die immer das letzte Wort behält, kann die Aussage „Geistig ist, was gedacht werden kann“ zur unumstößlichen Wahrheit erheben, die sich dann nicht mehr angreifen lässt; doch macht eine Plausibilisierung, wie wir sie hier gegeben haben, den Wesensgehalt einer unumstößlichen Wahrheit sehr viel deutlicher als ihre bloße Proklamation durch die Anschauung.

Nun also wenden wir uns der keineswegs einfachen Behandlung der Struktur alles Geistigen überhaupt und der grundlegenden Regeln des Denkens zu. Wie aus den vorangegangenen Ausführungen an mehreren Stellen klar wurde, ist die Grundeinheit alles geistig Seienden, welche zugleich dessen eigentlichen Träger darstellt, das Objekt. Ein Objekt aber besteht in nichts anderem als der Menge seiner Eigenschaften; wobei wir uns an diesem Punkte zunächst eine gewissermaßen naive Vorstellung davon machen können, was eine Eigenschaft eigentlich sei, und sich erst im Laufe der Untersuchung stärker herauskristallisieren wird, wie wir den Begriff abzugrenzen haben. Zwar denkt in gewisser Hinsicht der Verstand, wenn er ein Objekt denkt, mehr als eine bloße Menge an Eigenschaften, indem er diese Eigenschaften gleichsam in ein Stück gießt und daraus eine eigenständige, echtes Sein besitzende Entität bildet, und wir täten darum unter dem ontologischen Gesichtspunkte den Objekten Unrecht, wenn wir sagten, dass ein Objekt nichts weiter als eine Ansammlung von Eigenschaften sei; doch charakterisieren die Eigenschaften eines Objekts dieses vollständig, weshalb wir mit Recht sagen dürfen, dass es in nichts anderem als diesen bestehe. Unter dem praktischen Gesichtspunkte können wir darum ein Objekt mit einer Menge von Eigenschaften gleichsetzen, und im Folgenden wollen wir es in dieser Weise halten. Allerdings ist natürlich nicht jede beliebige Menge von Eigenschaften auch ein Objekt, welches als ein einfaches Gegenbeispiel eine Menge mit zwei einander widersprechenden Eigenschaften hat.

Für das Denken sind dabei die Eigenschaften das Ursprüngliche, nicht mehr weiter Zusammengesetzte, während es die Objekte daraus ableitet, und nicht umgekehrt. Auf der Ebene des Geistigen hingegen sind beide Sichtweisen gleichberechtigt und gewissermaßen dual zueinander: Man kann entweder die Eigenschaften als ursprünglich ansehen und ein Objekt definieren durch die Eigenschaften, die es besitzt; oder aber die Objekte als ursprünglich betrachten und eine Eigenschaft definieren durch die Objekte, welche sie teilen. Dennoch machen wir uns im Folgenden fast ausschließlich die erste Sichtweise zu eigen, eben weil es diejenige des Denkens ist.

Für die Objekte gilt das Extensionalitätsprinzip: Zwei Objekte A und B sind genau dann gleich, wenn sie dieselben Eigenschaften besitzen, das ist A jede Eigenschaft besitzt, die B besitzt, und umgekehrt. Wir sagen dann auch, dass sie homoont sind oder zwischen ihnen Homoousie besteht. Dieses Verhältnis ist dabei, wie der Begriff zum Ausdruck bringt, ein Seinsverhältnis, eine Identität auf der Ebene des geistigen Seins. Dieser kann eine Identität auch im Denken, eine Homophrenie, entsprechen, muss es aber nicht: Zwei Objekte können homoont, aber heterophren sein; umgekehrt aber impliziert Homophrenie stets Homoousie. Das liegt daran, dass der Verstand, wenn er ein Objekt denkt, dieses nicht vermittelst der Gesamtheit seiner Eigenschaften denkt, sondern stattdessen durch eine Teilmenge dieser Eigenschaften, welche das Objekt definieren, das ist die restlichen Eigenschaften und damit das Objekt eindeutig festlegen; zu welchem Zwecke aber verschiedene Teilmengen dienen können. So sind etwa die vierte Primzahl und die natürliche Zahl zwischen sechs und acht heterophren, aber homoont, da sie ein und dasselbe Objekt darstellen, das aber in zwei verschiedenen Weisen gedacht wird. Das mag banal und offensichtlich erscheinen, zeugt aber von der Eigentümlichkeit des Verhältnisses zwischen Denken und Sein.

Wir wollen noch eine weitere Begrifflichkeit einführen. Wir sagen, dass ein Objekt A bestimmt ist, wenn jedes Objekt, das alle Eigenschaften von A besitzt, mit A identisch ist. Gibt es hingegen Objekte, die alle Eigenschaften von A besitzen, jedoch nicht mit A identisch sind, weil sie Eigenschaften besitzen, die A nicht besitzt, so sagen wir, dass A unbestimmt ist. In suggestiver, jedoch sehr treffender Weise verwenden wir für bestimmte Objekte den bestimmten, für unbestimmte Objekte den unbestimmten Artikel. So ist etwa ein Dreieck ein unbestimmtes Objekt, da es viele Objekte mit den Eigenschaften eines Dreiecks gibt, die jedoch noch weitere Eigenschaften besitzen, etwa ein rechtwinkliges Dreieck oder das rechtwinklige Dreieck, dessen Katheten die Länge eins besitzen. Hingegen ist das gleichseitige Dreieck mit Seitenlänge eins ein bestimmtes Objekt, da dessen Eigenschaften es nicht zulassen, ihm weitere hinzuzufügen, ohne dass ein Widerspruch entstünde.

Wenn wir sagen, dass ein Objekt A mit einer Eigenschaft E unvereinbar ist, sofern A die Eigenschaft E nicht nur nicht besitzt, sondern sie sich A auch nicht hinzufügen lässt, das ist es kein Objekt A' gibt, das alle Eigenschaften von A sowie E besitzt: So gilt für bestimmte Objekte, dass sie eine beliebige Eigenschaft entweder besitzen oder damit sogar unvereinbar sind; wohingegen unbestimmte Objekte eine Eigenschaft auch nicht besitzen können, ohne damit unvereinbar zu sein. So besitzt etwa ein Dreieck die Eigenschaft, rechtwinklig zu sein, nicht, ist damit aber auch nicht unvereinbar, während dies für das gleichseitige Dreieck mit Seitenlänge eins unmöglich ist und es in diesem Falle tatsächlich unvereinbar damit ist, rechtwinklig zu sein.

Die Unterscheidung zwischen bestimmten und unbestimmten Objekten ist in vielen Zusammenhängen wichtig; so werden wir etwa im letzten Teil dieser Schrift, in welchem wir die Wirklichwerdung von geistig Seiendem behandeln werden, feststellen, dass es nur die bestimmten Objekte sind, die auch wirklich werden können. In gewisser Hinsicht kann man die bestimmten zu den Objekten im eigentlichen Sinne erklären; denn die unbestimmten Objekte besitzen eine gewisse Redundanz: Jede Aussage über ein unbestimmtes Objekt lässt sich in eine Aussage über alle von diesem abgeleiteten bestimmten Objekte überführen. Zugleich zu ihrem Objektsein fungieren die unbestimmten Objekte somit auch als eine Art von Grundklassen, in welche sich die bestimmten Objekte ordnen lassen. Deshalb könnte man sogar soweit gehen wollen, den ontologischen Status der unbestimmten Objekte in Frage zu stellen, welchen wir als denselben der bestimmten angesetzt haben, und ihnen das geistige Sein abzusprechen. Eine solche Position verkennte jedoch, in welch natürlicher Weise sich auch die unbestimmten Objekte als Gegenstand des Denkens darstellen, welches sie durch schlichte Zusammenstellung von Eigenschaften bildet und wie selbstverständlich zum Bestandteil von Aussagen macht. So weit gehen und diese Position übernehmen wollen wir deshalb nicht: Bestimmte und unbestimmte Objekte sind beide gleichermaßen Träger des geistigen Seins.

Aus der Art, in der wir bis hierher Konzepte eingeführt und Argumente vorgetragen haben, erhellt bereits, dass der geeignete Rahmen zur Beschreibung der geistigen Objekte die Mengenlehre ist und wir uns mindestens einer Prädikantenlogik erster Stufe bedienen müssen, um in geeigneter Weise über die Objekte sprechen zu können. Die in diesem Rahmen formulierten Betrachtungen, welche der philosophischen Anschauung entspringen, finden dabei auf einer Metaebene und in einer Metasprache statt; in die Lage, solche Betrachtungen anzustellen, versetzt uns dabei erst der Rückzug auf jene „sichere Feste“ der Schrift Über das Verhältnis von metaphysischer und immanenter Weltsicht, welche sich auf dem Alsob gründet, man könne Teil der Welt sein und zugleich über sie sprechen, als betrachte man sie von außerhalb. Man muss sich dabei hüten, die beiden Ebenen und Sprachen nicht zu vermischen; so sind etwa die oben eingeführten „Eigenschaften“ eines Objekts, zu einem anderen homoont zu sein oder mit einer Eigenschaft E unvereinbar zu sein, Eigenschaften auf dieser Metaebene und gehören nicht etwa zu den oben eingeführten Eigenschaften auf der Ebene des geistig Seienden, in denen ein denkbares Objekt besteht.

Als Mengenlehre zur Beschreibung der geistigen Objekte wollen wir das Zermelo-Fraenkel-System mit Urelementen verwenden, jedoch in einer stark reduzierten Form. Das ist wir setzen folgende Axiome an: das Extensionalitätsaxiom, wonach zwei Mengen identisch sind, wenn sie dieselben Elemente enthalten; das Aussonderungsaxiom, das es erlaubt, zu einer Menge M und einer Eigenschaft X (im Sinne der Metasprache) die Menge M' aller Objekte aus M, die X besitzen, zu bilden; das Paarmengenaxiom, wonach für zwei Mengen oder zwei Urelemente, oder eine Menge und ein Urelement, die Zusammenfassung beider in einer Menge möglich ist; das Vereinigungsaxiom, demzufolge es zu einer Menge M von Mengen eine Menge M' gibt, welche alle Elemente der Elemente von M enthält; das Potenzmengenaxiom, welches besagt, dass es zu jeder Menge M die Menge M' der Teilmengen von M gibt, und dass sich zu einem Urelement die Menge bilden lässt, die genau dieses Urelement enthält; und schließlich das Urelementaxiom, wonach Urelemente selbst keine Elemente enthalten. Das heißt wir verzichten auf das Unendlichkeits-, Fundierungs-, Ersetzungs- und Auswahlaxiom der üblichen zermelo-fraenkelschen Mengenlehre. Die verbleibenden können wohl den Anspruch erheben, besonders elementar zu sein und sich der Anschauung mehr noch als die anderen aufzudrängen.

Anwenden wollen wir diese Mengenlehre einerseits auf die Objekte und andererseits die Eigenschaften (hier nicht im metasprachlichen Sinne). Da sich, wie wir oben ausgeführt haben, Objekte als Mengen von Eigenschaften und Eigenschaften als Mengen von Objekten betrachten lassen, ergibt sich die Notwendigkeit der Mengenlehre hier in natürlicher Weise; doch wollen wir auch allgemeine Mengen von Eigenschaften, die keine Objekte, und allgemeine Mengen von Objekten, die keine Eigenschaften darstellen, sowie Mengen von derartigen Mengen, betrachten. Demnach können wir prädikantenlogische Aussagen treffen, in denen wir über einen oder mehrere der folgenden Grundbereiche quantifizieren: über alle denkbaren Objekte; über alle Eigenschaften; über alle Mengen, die sich mithilfe der Axiome, ausgehend von den Objekten als Urelementen, bilden lassen; und entsprechend über alle Mengen, die sich aus den Eigenschaften als Urelementen bilden lassen.

Zusätzlich zu den Grundaxiomen der Mengenlehre führen wir noch ein weiteres, unseren Betrachtungen über die denkbaren Objekte spezifisches Axiom ein: Und zwar postulieren wir, dass die Gesamtheit sowohl der Objekte als auch der Eigenschaften eine Menge darstellt; wobei sich das eine aus dem anderen ergibt, wenn man das Potenzmengenaxiom und das Prinzip, wonach Objekte als Mengen von Eigenschaften und Eigenschaften als Mengen von Objekten dargestellt werden können, voraussetzt. Die beiden Mengen, diejenige aller Objekte und diejenige aller Eigenschaften, setzen wir als die gegebene Grundlage für Mengenkonstruktionen gemäß den reduzierten Zermelo-Fraenkel-Axiomen an. Das Postulat beruht darauf, dass wir dem idealen Denken die Fähigkeit zubilligen müssen, aus der Gesamtheit der Objekte für beliebige Eigenschaften diejenigen auszusondern, die diese besitzen, wie wir unten noch genauer darlegen werden; welches aber nur für Mengen möglich ist, nicht aber für echte Klassen im Sinne der Neumann-Bernays-Gödel-Mengenlehre. Zwar wird allgemein angenommen, dass die Gesamtheit schon der mathematischen, und somit erst recht aller Objekte, eine solche echte Klasse sei; welches durch das Paradoxon begründet wird, das entstünde, setzte man eine Menge aller Objekte an: Diese müsste auch alle Elemente ihrer eigenen Potenzmenge enthalten und gemäß dem Satz, dass eine Potenzmenge einer Menge stets mächtiger ist als diese, mächtiger als sie selbst sein. Doch beruht dieses Argument auf der Annahme, dass es zu einer beliebigen Menge von denkbaren Objekten stets ein weiteres denkbares Objekt gebe, das durch deren Zusammenfassung entsteht; welche jedoch nicht selbstverständlich und, setzt man jenes Postulat voraus, sogar vielmehr falsch ist. Der scheinbare Widerspruch dieser Überlegung zum oben eingeführten Potenzmengenaxiom löst sich sofort auf, wenn man bedenkt, dass dieses nur die Möglichkeit einer Konstruktion in der Metasprache sicherstellt, nicht aber die eigentliche Existenz eines denkbaren Objekts, als ein welches wir die auf der Metaebene gebildeten Mengen von Objekten keineswegs ansehen dürfen.

Wir stehen an diesem Punkte unserer Betrachtung der Gesamtheit der Objekte noch als einer unüberschaubaren, ungeordneten und strukturlosen Menge gegenüber. Es soll uns deshalb jetzt darum zu tun sein, die ihr intrinsischen Strukturen vermittelst der Einführung geeigneter Begriffe der Metasprache sichtbar zu machen und herauszustellen. Wir werden diese Begriffe dabei zunächst rein formal, das ist unter bloßer Verwendung der mengentheoretischen Charakterisierung der Objekte, definieren; erst weiter unten lassen wir die beschriebenen Strukturen auch zu Fleisch und Blut gelangen, indem wir ihre anschauliche Bedeutung deutlich machen.

Als ersten Begriff führen wir denjenigen der Klasse ein; dabei ist dieser, so sei vorausgeschickt, nicht mit dem gleichlautenden Begriff der Neumann-Bernays-Gödel-Mengenlehre zu verwechseln, wiewohl er damit in der Tat verwandt ist; da wir postuliert haben, es in der Metasprache überhaupt nur mit Mengen zu tun zu haben, jede Klasse im letzteren Sinne somit eine Menge ist und eine Redundanz entsteht, wird der Ausdruck „Klasse“ jedoch glücklicherweise für unsere Zwecke frei und es sind derartige Verwechslungen ausgeschlossen. Wir definieren also eine Klasse als eine nichtleere Menge von Objekten K, für die es eine Menge M von Eigenschaften derart gibt, dass die Menge aller Objekte, die sämtliche Eigenschaften aus M besitzen, genau K ist. Man beachte, dass dieser Ausdruck nicht bloß eine Menge von Objekten meint, die gewisse Eigenschaften gemeinsam haben; sondern eine Klasse muss auch vollständig sein in dem Sinne, dass sie zu einer gegebenen Eigenschaftsmenge sämtliche in der Objektallmenge vorhandenen Objekte enthält, welche die Eigenschaften der Eigenschaftsmenge besitzen.

Die erzeugende Eigenschaftsmenge zu einer gegebenen Klasse ist dabei nicht eindeutig bestimmt; jedoch gibt es zu einer Klasse K stets eine ausgezeichnete erzeugende Eigenschaftsmenge, und zwar die maximale, das ist diejenige, welcher sich keine weiteren Eigenschaften mehr hinzufügen lassen, ohne dass die erzeugte Klasse K sich änderte. Diese ist in der Tat eindeutig bestimmt; denn man nehme an, dass es zwei verschiedene maximale erzeugende Eigenschaftsmengen M und M' zu einer Klasse K gäbe. Aufgrund der angenommenen Maximalität kann M nicht Teilmenge von M' sein und somit gibt es eine Eigenschaft E, die in M enthalten ist, aber nicht in M'. Diese Eigenschaft E aber müssen sämtliche Objekte in K besitzen, woraus folgt, dass sie sich zur Menge M' hinzufügen ließe, im Widerspruch zu deren angenommener Maximalität. Ähnlich zeigt man, dass auch jede erzeugende Eigenschaftsmenge zu einer gegebenen Klasse Teilmenge der maximalen erzeugenden Eigenschaftsmenge sein muss: Wäre eine erzeugende Eigenschaftsmenge M keine Teilmenge der maximalen erzeugenden Eigenschaftsmenge M', so enthielte jene eine Eigenschaft E, die diese nicht enthält; welche dann aber auch alle Objekte der Klasse besitzen müssten, sodass sie sich M' hinzufügen ließe, erneut im Widerspruch zu deren Maximalität. Wir sagen, dass eine Menge M von Eigenschaften eine Eigenschaft E notwendig impliziert, wenn jedes Objekt, das alle Eigenschaften aus M besitzt, auch E besitzt. Man kann dann aus einer beliebigen erzeugenden Eigenschaftsmenge M einer Klasse deren ausgezeichnete, maximale erzeugende Eigenschaftsmenge gewinnen, indem man der Menge M alle von ihr notwendig implizierten Eigenschaften hinzufügt. Dass von der Eigenschaftsmenge M notwendig implizierte Eigenschaften sich ihr hinzufügen lassen, ohne dass sich die erzeugte Klasse ändert, wodurch die entstehenden Eigenschaftsmengen dann auch in der maximalen erzeugenden Eigenschaftsmenge liegen, folgt dabei daraus, dass alle Objekte einer Klasse sämtliche von einer ihrer erzeugenden Eigenschaftsmengen notwendig implizierten Eigenschaften besitzen müssen. Dass umgekehrt jede Eigenschaft, die Element der maximalen erzeugenden Eigenschaftsmenge ist, durch M notwendig impliziert wird, ergibt sich wie folgt: Man setze, dass es eine Eigenschaft E in der maximalen erzeugenden Eigenschaftsmenge gibt, die nicht von M notwendig impliziert wird. Dann muss es ein Objekt in der Klasse geben, das E nicht besitzt, im Widerspruch zu der Annahme, dass E Element einer erzeugenden Eigenschaftsmenge ist. Aufgrund dieser Überlegungen wollen wir im Folgenden, wenn wir nichts anderes angeben, unter der erzeugenden Eigenschaftsmenge implizit die maximale erzeugende Eigenschaftsmenge verstehen.

Zu einem unbestimmten Objekt gibt es stets eine Klasse von Objekten, die sich von diesem ableiten, das ist alle seine Eigenschaften besitzen (dies gilt auch für ein bestimmtes Objekt, allerdings enthält die resultierende Klasse dann nur dieses selbst als Element); die Menge seiner Eigenschaften ist dann die erzeugende Eigenschaftsmenge. Umgekehrt aber muss die erzeugende Eigenschaftsmenge einer Klasse nicht notwendigerweise ein Objekt bilden. Wir wollen eine Klasse, die sich aus einem Objekt ableiten lässt, eine natürliche Klasse nennen; wohingegen wir alle anderen Klassen als assoziative Klassen bezeichnen.

Es ist sowohl möglich, dass eine Klasse echte Teilmenge einer anderen ist, als auch dass zwei Klassen sich überschneiden, das ist dass sie Objekte gemeinsam haben, ohne dass die eine Teilmenge der anderen wäre. In diesem Falle bildet die Schnittmenge selbst wieder eine Klasse, deren erzeugende Eigenschaftsmenge die Vereinigung der erzeugenden Eigenschaftsmengen der beiden sich überschneidenden Klassen ist. Außerdem gilt: Ist die Klasse K Teilmenge der Klasse K', so ist die erzeugende Eigenschaftsmenge von K' Teilmenge derjenigen von K; denn gäbe es eine Eigenschaft E, die in der erzeugenden Eigenschaftsmenge von K', aber nicht derjenigen von K liegt, so besäßen alle Objekte in K' diese Eigenschaft, somit aber auch alle Objekte in K, weshalb sie sich der erzeugenden Eigenschaftsmenge von K hinzufügen ließe, im Widerspruch zu deren Maximalität.

Klassen sind bereits sehr spezielle Mengen von Objekten, aus deren Definition sich eine Reihe an Charakteristika ableiten lässt. Für unsere Zwecke müssen wir aber noch stärkere Konzepte als dasjenige der Klasse einführen. Dafür müssen wir zunächst zwei weitere Definitionen vorausschicken. Wir nennen eine Eigenschaft gebunden, wenn diese und alle von ihr notwendig implizierten Eigenschaften gemeinsam ein (bestimmtes oder unbestimmtes) Objekt bilden; ansonsten nennen wir sie ungebunden. Obgleich es aus dieser mengentheoretischen Definition allein nicht folgt, werden wir unten sehen, dass sich auch kein Objekt ausschließlich aus ungebundenen Eigenschaften Eigenschaften bilden lässt; außerdem wird sich ergeben, dass die Menge der gebundenen Eigenschaften eines Objekts alle seine ungebundenen Eigenschaften schon notwendig impliziert. Weiterhin definieren wir zu einer Menge von Objekten M die ihr zugehörige Universaleigenschaftsmenge als die Menge aller Eigenschaften, die Objekte in M besitzen; das ist eine Eigenschaft E liegt genau dann in der zu M gehörenden Universaleigenschaftsmenge, wenn es ein Objekt in M gibt, das E besitzt. Schließlich sei für eine Klasse ihre Obereigenschaftsmenge ihre Universaleigenschaftsmenge ohne die sie erzeugende Eigenschaftsmenge; in Analogie kann man dann letztere auch ihre Untereigenschaftsmenge nennen. Unter Verwendung dieser Begriffe können wir nun eine weitere Struktur des geistig Seienden herausstellen. Wir nennen eine Menge von Objekten U ein Universum, wenn sie eine natürliche Klasse ist und zusätzlich jedes beliebige Objekt, das eine gebundene Eigenschaft aus der Obereigenschaftsmenge von U besitzt, auch Element von U ist. Wir fordern also für Universen zusätzlich zu der Klasseneigenschaft eine gewisse Vollständigkeit oder Abgeschlossenheit gegenüber den darin vorkommenden Eigenschaften; warum wir uns dabei auf die gebundenen Eigenschaften beschränken, wird weiter unten deutlich werden.

Anders als bei Klassen gilt für zwei Universen, dass entweder das eine Universum eine Teilmenge des anderen ist, oder aber sie vollständig disjunkt sind. Dies lässt sich wie folgt beweisen. Man setze zwei nicht disjunkte Universen U und U', von denen keines Teilmenge des anderen ist. Man wähle also ein Objekt O, welches Element sowohl von U als auch U' ist. Weiterhin wähle man eine gebundene Eigenschaft E, die in der erzeugenden Eigenschaftsmenge von U, aber nicht derjenigen von U' liegt. Dass es eine solche geben muss, sieht man wie folgt: Die erzeugende Eigenschaftsmenge von U kann keine Teilmenge derjenigen von U' sein, weil sonst U' eine Teilmenge von U wäre; sodass es zumindest Eigenschaften geben muss, welche die besagte Bedingung erfüllen. Da U und U' aber natürliche Klassen sind und somit ihre jeweilige erzeugende Eigenschaftsmenge Objekte bildet, muss die erzeugende Eigenschaftsmenge von U gebundene Eigenschaften enthalten; und es ist auch unmöglich, dass diese allesamt in der erzeugenden Eigenschaftsmenge von U' liegen, da wir postuliert hatten, dass die Menge der gebundenen Eigenschaften eines Objekts seine ungebundenen notwendig impliziert, mithin alle Eigenschaften der erzeugenden Eigenschaftsmenge von U auch in derjenigen von U' lägen, was wir bereits ausgeschlossen hatten. Wenn nun aber eine gebundene Eigenschaft E in der erzeugenden Eigenschaftsmenge von U, nicht aber derjenigen von U' liegt, dann muss das Objekt O, das sowohl in U als auch U' ist, E besitzen, sodass E zur Obereigenschaftsmenge von U' gehört. Das aber hieße, dass jedes Objekt, das die Eigenschaft E besitzt, unter anderem auch sämtliche Objekte aus U, in U' liegen müssten; im Widerspruch zur Annahme.

Schließlich führen wir als noch einmal spezielleren Begriff im Vergleich zu Klasse und Universum die Domäne ein. Wir sagen, dass ein Universum eine Domäne ist, wenn es eine Maximalklasse darstellt, das ist keine echte Teilmenge einer anderen Klasse ist. Eine äquivalente Definition ergibt sich, wenn man bei der Definition des Universums in der Bedingung, dass jedes Objekt mit einer gebundenen Eigenschaft aus der Obereigenschaftsmenge wieder im Universum liegt, diese durch die Universaleigenschaftsmenge ersetzt. Denn wenn schon eine Eigenschaft der Untereigenschaftsmenge es nach sich zieht, Element des Universums zu sein, dann ist für ein Universum U, das Teilmenge einer Klasse K ist, jedes Objekt aus K auch in U, sodass U keine echte Teilmenge von K ist; ist aber umgekehrt U keine echte Teilmenge einer Klasse, so liegt jedes Objekt mit einer gebundenen Eigenschaft aus der Untereigenschaftsmenge von U wieder in U; denn gäbe es darin eine gebundene Eigenschaft E, sodass es ein Objekt O außerhalb von U gibt, das E besitzt, so gäbe es eine Klasse, nämlich die durch E und die von E notwendig implizierten Eigenschaften erzeugte, zu welcher U echte Teilmenge ist.

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