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Solipsistische Ästhetik oder Was ist schön?

Was ist schön? Diese Grundfrage der philosophischen Ästhetik lässt sich in zwei Weisen verstehen: Sie fordert einerseits dazu auf, für diesen äußerst unscharfen Begriff der Alltagssprache eine präzise Definition zu entwickeln; und verlangt andererseits nach einer Bestimmung der Dinge in der Welt, die diese Definition erfüllen. Beiden Aspekten der Frage wollen wir uns hier widmen. Solipsistisch ist die dabei entwickelte Ästhetik insofern, als die halbmetaphysische, den Solipsismus voraussetzende Sichtweise, wie sie in der Solipsistischen Ethik ausgeführt ist, den Betrachtungen zugrunde gelegt sein soll.

Die Wörter „gut“ und „schön“ sind in vielen europäischen Sprachen, so auch dem Deutschen selbst, semantisch nahestehend und nicht immer scharf voneinander getrennt (zum Zwecke der philosophischen Untersuchung werden wir, dem allgemeinen Sprachgebrauch zuweilen zuwiderhandelnd, beide genau unterscheiden müssen). Diese Tatsache ist nicht ohne Bewandtnis; denn es handelt sich in der Tat um zwei Eigenschaften, die in enger Beziehung stehen. Dabei soll hier der Begriff „gut“, welcher in der Alltagssprache mindestens ebenso unscharf verwendet ist wie „schön“, ebenso verstanden sein wie in der Solipsistischen Ethik, das ist als Bezeichnung für dasjenige, was im Gemüte das Gefühl der Gutheit, der Hedone, der Glücklichkeit auslöst, was intuitiv als erstrebenswert erkannt wird. Ebenso wollen wir den gegenteiligen Begriff „schlecht“ verwenden zur Benennung desjenigen, was im Gemüte Schlechtheit, das ist Leid oder Unglücklichkeit verursacht.

Zahlreiche Gegenstände, Vorgänge und Zustände, allgemein Erscheinungen in der Wirklichkeit sind gut oder schlecht, andere wiederum neutral, das ist weder gut noch schlecht. Häufig sind diese Erscheinungen komplex, das ist besitzen mehrere Aspekte. Es kann nun vorkommen, dass eine Erscheinung insgesamt schlecht ist, obwohl sie in einzelnen Aspekten gut ist, wobei unter Letzterem zu verstehen sei, dass sie unter Fortdenkung der sonstigen Aspekte insgesamt gut würde; dies ist dann möglich, wenn sie schlechte Aspekte besitzt, welche die guten überwiegen. Ebenso kann es sich umgekehrt verhalten und eine insgesamt gute Erscheinung in einigen Aspekten schlecht sein. Bisweilen ist eine Erscheinung auch gut und schlecht zugleich, wenn sie gute und schlechte Aspekte besitzt und weder die einen noch die anderen überwiegen. Erscheinungen, welche ausschließlich gute oder ausschließlich schlechte Eigenschaften, oder aber ausschließlich gute und neutrale oder ausschließlich schlechte und neutrale Eigenschaften besitzen, sind stets gut beziehungsweise schlecht; niemals hingegen neutral, wofür sie nämlich in allen ihren Aspekten neutral sein müssen.

Ein einfaches Beispiel für eine solche Erscheinung mit gemischten Aspekten ist etwa eine köstliche, jedoch giftige Speise; oder, um einen alten Topos zu bemühen, ein äußerlich schöner, jedoch böser Mensch. Erscheinungen mit mehreren Aspekten lassen sich stets zerlegen in Erscheinungen, die nur noch eine Teilmenge der ursprünglichen Aspekte besitzen; insbesondere lassen sie sich derart zerlegen, dass die resultieren Erscheinungen ausschließlich gute und neutrale oder ausschließlich schlechte und neutrale Aspekte besitzen. Etwa ließe sich die Erscheinung der köstlichen Speise zerlegen in ihren Geschmack, welcher rein gut ist, und ihre Wirkung auf den Körper, welche rein schlecht ist (sowie unter Umständen weitere neutrale Erscheinungen wie etwa ihr Aussehen). Deshalb genügt es, nur rein gute und rein schlechte Erscheinungen zu betrachten, und wir wollen uns im Folgenden zur Vereinfachung der Diskussion auf derartige Erscheinungen beschränken.

Unter diesen Voraussetzungen gilt: Alles was schön ist, ist auch gut. Diese Tatsache ist offensichtlich; die Wahrnehmung von Schönem ist stets mit Gefallen verbunden, außer es besitzt andere derart schlechte Eigenschaften, dass sie dieses Gefallen zu ersticken vermögen, was wir jedoch von unserer Betrachtung ausgeschlossen hatten. Ein rein schöner Gegenstand erzeugt notwendigerweise Hedone im Gemüte; ist dies nicht der Fall, so lässt sich ihm keine Schönheit zusprechen. Umgekehrt ist jedoch bei Weitem nicht alles Gute auch schön; wofür sich mit Leichtigkeit zahllose Beispiele angeben lassen. Somit ist das Schöne eine spezielle Art von Gutem, und die Schwierigkeit besteht darin zu definieren, was es von dem nicht schönen Guten unterscheidet.

Ein möglicher Ansatz für eine solche Definition ist der exhaustive, entweder ex negativo, indem die Kategorien von Gutem aufgezählt werden, die nicht schön sind, oder ex positivo, indem die zahlreichen, jedoch endlich vielen Ausprägungen des Schönen zusammengetragen werden. So ließen sich beim Vorgehen ex negativo etwa körperliches Wohlergehen allgemein, geistiges Wohlergehen durch zwischenmenschliche Interaktion, Erfolge, Unterhaltung und Ähnliches als gut, aber nicht schön angeben; beim Verfahren ex positivo etwa Gegenstände der bildenden Kunst, Musik, Literatur, Naturschönheit, menschliche Schönheit und so fort als schön. Wie jeglicher exhaustive Ansatz jedoch ermangelt er nicht nur der Allgemeinheit und läuft damit beständig Gefahr, Formen des Schönen oder nicht Schönen zu übersehen, sondern er vermag auch keine tiefere Einsicht in das Wesen des Schönen zu geben.

Deshalb wollen wir versuchen, eine einfachere und allgemeinere Definition für das Schöne zu finden. Was zunächst auffällt, ist dass das Prädikat „schön“ weit häufiger Gegenständen, konkreten wie abstrakten, als Vorgängen und Zuständen beigelegt wird; und zuvörderst solchen, die sich mit den Augen, den Ohren oder dem Verstande wahrnehmen lassen – wobei hier Werke der Literatur als abstrakte Gegenstände aufgefasst sind und auch Musikstücke unter die Gegenstände gezählt wurden, wiewohl man sie auch als Vorgänge betrachten könnte. Obgleich diese Beobachtung durchaus in vielen Fällen als empirische Faustregel Gültigkeit besitzt, taugt sie jedoch nicht zu einer strengen Definition, denn erstens steht sie dem rein exhaustiven Ansatz immer noch nahe und ist zweitens auch nicht immer korrekt: Ein einfaches Gegenbeispiel ist die Quelle, die ein Verdurstender in der Wüste erblickt, welche sicherlich gut aber nicht schön ist.

Ein anderer Versuch besteht darin, das Schöne auf das sich Abheben, das Herausstechen eines Gegenstandes aus den gewöhnlichen Dingen in der Welt, bei gleichzeitigem Gutsein, zurückzuführen. Tatsächlich zeigen sich die schönen Gegenstände in ihrer Beschaffenheit fast immer gänzlich heterogen zu den in der Wirklichkeit allgemein vorherrschenden Gegenständen; das Schöne ist meist ein Besonderes, ein Außergewöhnliches, welches nur selten auftritt. Auch wenn dieser Ansatz dem Wesen des Schönen schon sehr viel näher kommt als der vorige, bleibt er unbefriedigend, da er das Schönsein durch eine bloß relative Eigenschaft definiert. Wenn man aus der tatsächlichen Wirklichkeit alles entfernte, was nicht schön ist, so müssten alle jene vormals schönen Gegenstände auf einen Schlag ihre Schönheit verlieren. Dass das Schöne etwas Seltenes, Außergewöhnliches ist, sagt denn wohl auch mehr über die Beschaffenheit der tatsächlichen Wirklichkeit aus als dass es sich zu dessen Definition eignet. Mehr noch als im vorigen Fall jedoch kann diese Tatsache immerhin als empirische Regel von Nutzen sein.

Die eigentliche, sein Wesen charakterisierende Definition des Schönen ist folgende: Etwas ist schön, wenn es gut ist und seine Beschaffenheit allein dazu hinreicht, dass es gut ist. Das heißt damit ein Gegenstand der Wahrnehmung schön ist, muss er die Bedingungen erfüllen, erstens Hedone im Gemüte auszulösen; und zweitens dies zu tun unabhängig von der Beziehung, in welcher er zum Ich steht und vermittelst seiner Gestalt gut zu sein schon schlicht dadurch, dass er wahrgenommen wird, welches für seine Existenz unabdingbar ist. Nicht gefordert ist dabei, dass er nicht in einer Beziehung zum Ich stehen dürfe, durch die er zusätzlich Hedone auslöst; doch muss Hedone noch dann bestehen bleiben, wenn man jede solche über die Wahrnehmung hinausgehende Beziehung aufhöbe. Diese von der Beziehung zu einem Gegenstand unabhängige, allein auf seiner Beschaffenheit beruhende Hedone ist das ästhetische Empfinden.

Nehmen wir zunächst einmal das Beispiel der Quelle, die der Verdurstende sieht, wieder auf: Sie ist gut aber nicht schön, weil sie nur gut ist durch ihre Beziehung zum Verdurstenden, der aus ihr trinken kann; eine bloße Fata Morgana einer Quelle wäre nicht gut, obwohl die visuelle Wahrnehmung dieselbe ist. Betrachten wir im Gegensatz dazu den Wanderer, der sich an einer lieblichen oder auch dramatischen Landschaft erfreut, nicht weil sie seinem Vorankommen zuträglich oder ihm sonstwie nützlich ist, sondern allein um ihrer Beschaffenheit willen: Bei diesem besteht das ästhetische Empfinden, und die Landschaft ist schön. Ähnlich wie im Falle der Quelle lässt sich für andere Erscheinungen des körperlichen Wohlergehens richtigerweise aus der Definition ableiten, dass sie nur gut, jedoch nicht schön sind: So sind etwa wärmende Sonnenstrahlen nur gut, weil sie wärmen; eine köstliche Speise nur dadurch gut, dass sie auch gegessen wird. Gleiches gilt etwa für geistiges Wohlergehen aufgrund sozialer Interaktionen: Es sind hier eben die Beziehungen zu den Mitmenschen, die zu Gutheit führen. Bei vielen Werken der Kunst hingegen, welche allgemein als schön angesehen werden, ist es anders: Beispielsweise ist so manches Musikstück schön, da die Harmonien und Tonfolgen darin an sich Hedone auslösen.

Hier lässt sich ein Einwand erheben: Auch das Tonwerk muss, so ließe sich anführen, gehört werden, um gut zu sein, und es bestünde somit kein Unterschied zu der Speise, die um gut zu sein gegessen werden muss. In der Tat liegt die größte Schwierigkeit der angegebenen Definition darin, dass eine Erscheinung unmöglich gänzlich ohne Beziehung zum Ich sein kann, da für ihre Existenz schlichtweg unabdingbar ist, dass sie zumindest wahrgenommen wird, und damit diese elementarste Beziehung zwischen Ich und Erscheinung besteht. Anzugeben, wo die Grenze verläuft zwischen dieser basalen, unabdingbaren Beziehung und einer Beziehung im eigentlichen Sinne, fällt oft schwer.

Dennoch ist der Einwand falsch: Er verkennt, dass der Mechanismus des Gutseins und dessen zentrales Element im Falle des Schönen und nicht Schönen unterschiedlich sind. Beim Schönen ist seine Beschaffenheit das Wesentliche, während die Wahrnehmungsbeziehung zum Ich zwar notwendig, aber nicht der wesentliche Aspekt ist. Was das schöne Musikstück gut macht, sind die Verhältnisse der Töne darin, welche, um zu existieren, nun einmal gehört werden müssen. Beim nicht Schönen ist es gerade umgekehrt: Die Beziehung einer Erscheinung zum Ich ist das Wesentliche, während deren Beschaffenheit nur Beiwerk darstellt. Ohne dass die Speise köstlich ist, geht es natürlich nicht, wesentlich für ihr Gutsein ist jedoch, dass sie gegessen wird.

Einen überaus mächtigen Prüfstein zur Entscheidung der Frage, ob die Beschaffenheit einer Erscheinung oder ihre Beziehung zum Ich das Wesentliche für ihr Gutsein ist und somit ob sie schön ist oder nicht, besitzen wir dadurch, dass wir viele, wenn auch nicht alle Erscheinungen auf zwei verschiedene Weisen wahrnehmen können: mit den Sinnen und mit dem Verstand. Die Sinne erlauben, einen Gegenstand oder Vorgang in der Außenwelt wahrzunehmen; der Verstand aber vermag, in der Innenwelt ein diesen ähnliches Abbild, welches man Vorstellung nennt, zu erschaffen. Natürlich ist die Vorstellung eines Gegenstandes der Außenwelt nicht identisch mit diesem selbst: Nicht nur ist der Verstand niemals in der Lage, ihn in allen seinen Einzelheiten abzubilden, sondern die Verschiedenartigkeit der beiden Wahrnehmungsformen und die Identität von Wahrnehmung und Wirklichsein bedingen schon an sich, dass ein Gegenstand der Außenwelt nicht mit seiner Vorstellung übereinstimmen kann. Das eigentümliche Verhältnis, das dennoch zwischen beiden besteht, sei als Homöophänie bezeichnet.

Sind nun eine Erscheinung der Außenwelt und die dazu homöophäne Erscheinung der Innenwelt beide gleichermaßen gut, so folgt daraus, dass beide schön sind: Denn in ihrer Beziehung zum Ich sind sie in jedem Falle verschieden, in ihrer Beschaffenheit jedoch ähnlich bis gleich. Besitzt hingegen die bloße Vorstellung einer Erscheinung der Außenwelt deren Eigenschaft, gut zu sein, nicht mehr, ist diese nicht schön. Ein Musikstück ist schön, sofern Gefallen im Gemüte noch dann besteht, wenn dessen Töne nur vorgestellt werden. Das sich Ausmalen einer Speise ist im Gegensatz dazu in der Regel nicht mit Hedone verbunden, woraus folgt, dass sie nicht schön sein kann.

Dieser Prüfstein, so mächtig er ist, lässt sich in einigen Fällen allerdings nicht anwenden: Abstrakte Gegenstände lassen sich nur mit dem Verstand, aber nicht mit den Sinnen wahrnehmen, und manche Gegenstände der Außenwelt lassen sich nicht adäquat mittels des Verstandes vorstellen. Wenn man davon wiederum die einfachen Fälle abzieht, in denen etwa eine gänzlich offensichtliche, für sein Gutsein notwendige Beziehung zwischen einem Gegenstand und dem Ich besteht, so bleiben einige wenige schwierige Fälle, in denen man nicht umhin kommt, in letzter Konsequenz denkend und aus der Anschauung heraus zu entscheiden, ob die Beschaffenheit oder die Beziehung zum Ich wesentlich ist.

Der Übergang von schön zu gut, aber nicht schön ist dabei freilich mehr fließend als scharf. Da indes nur wenige Gegenstände dem Bereich dieses Übergangs angehören, soll im Folgenden unter der Aussage, dass ein Gegenstand schöner als ein anderer sei, verstanden sein, dass er größere Hedone auslöst und nicht, dass er eher das besagte Kriterium erfüllt, das schönes und nicht schönes Gutes scheidet.

Bemerkt sei hier auch, dass eine bestimmte Gattung von Erscheinungen im Allgemeinen nicht grundsätzlich schön oder nicht schön ist. Ein Beispiel sind literarische Werke: Hierunter finden sich viele, welche nur gut sind, weil sie die Zeit vertreiben und das Ich unterhalten, oder aber belehren und unterweisen; sodass sie nicht schön sind. Manche Werke der Literatur hingegen, und es sind oft die vorzüglichsten, sind in ihrer Komposition oder Sprache derart vollendet, dass sie ästhetisches Empfinden auslösen und schön sind; dass sie zusätzlich unterhalten oder belehren, ist dabei gar nicht ausgeschlossen. Es kann sogar ein längeres Werk, etwa ein Roman, in Teilen schön sein und in anderen wiederum nur unterhalten.

Weiterhin wollen wir bemerken, dass sich das Hässliche ganz analog zum Schönen als dasjenige definieren lässt, was schlecht ist und dessen Beschaffenheit allein dazu hinreicht, dass es schlecht ist. Völlig parallel zur Theorie und Phänomenologie des Schönen ließen sich eine Theorie und Phänomenologie des Hässlichen entwickeln, welche man, je nachdem wie man den Begriff der Ästhetik auffasst, entweder als einen Teil derselben oder aber eine Antiästhetik betrachten könnte. In dieser Schrift jedoch werden wir uns auf das Schöne beschränken und auf die Ausarbeitung einer solchen Antiästhetik verzichten.

Wir haben bisher die durchaus bemerkenswerte Tatsache, dass überhaupt ein ästhetisches Empfinden existiert und Dinge allein um ihrer Beschaffenheit willen gut sein können, als gegeben hingenommen und nicht weiter hinterfragt. Jedoch das Sichverwundern, von dem gesagt worden ist, es stelle den Anfangsgrund der Philosophie dar, wird auch vor diesem erstaunlichen, ja beinahe unnatürlichen Phänomen nicht lange haltmachen. Der Metaphysiker gibt, wie üblich, auf diese Frage keine Antwort und nimmt das ästhetische Empfinden, wie überhaupt alle Phänomene der Wirklichkeit, schlicht als gegeben hin. In der immanenten Weltanschauung hingegen lässt sich dazu durchaus spekulieren. Die überzeugendste Erklärung ist, dass das ästhetische Empfinden durch Verselbstständigung eines anderen Gefühls entstanden ist. So ist die Schönheit eines Gegenstandes oft ein Anzeichen dafür, dass er auch in der einfacheren, grundlegenderen Weise, das ist durch seine Beziehung zum Ich, gut ist. Das Empfinden von Hedone übertrug sich somit auf dieses Anzeichen. Allmählich wurde dieses Gefühl aber immer unabhängiger von seinem Ursprung und trat irgendwann schon allein durch die schöne Beschaffenheit eines Gegenstandes ein, auch wenn diese tatsächlich zu gar keinem einfachen Gutsein kongruierte. Beim heutigen Menschen ist der Grad dieser Verselbstständigung oft bemerkenswert hoch und manches ästhetische Empfinden geht durch mehrfache Übertragung und auf mehreren Pfaden auf einfaches Gutes zurück, sodass es häufig gar nicht gelingt, diese Abstammung in plausibler Weise aufzuklären.

Das ästhetische Empfinden, die Hedone, welche Schönes auslöst, lässt sich nach dieser Erklärung also aus dem einfachen, durch seine Beziehung zum Ich Guten ableiten. Letzteres wiederum geht, wie nebenbei bemerkt sei, zurück auf die obersten Ziele, welche die Natur ihren Geschöpfen auferlegt, nämlich Selbsterhaltung und Fortpflanzung. Diese immanente Erklärung für das ästhetische Empfinden darf aber keinesfalls missverstanden werden in dem Sinne, dass dadurch dessen Absolutheit, das ist seine Losgelöstheit von jeder Beziehung zwischen Ich und schönem Gegenstand, relativiert würde: Sofern die Erklärung denn richtig ist, so muss die erwähnte Verselbstständigung der einfachen Hedone total sein, da wir ein solches absolutes ästhetisches Empfinden in der Tat in der Wirklichkeit vorfinden. Wer an der Möglichkeit eines derartigen Verhältnisses zweifelt, erliegt dem verbreiteten Fehlschluss, einer Sache die Charakteristika ihres Ursprungs auch dann noch zuzusprechen, wenn sie sich von diesem in jeglicher Hinsicht gelöst hat.

Was bisher vorgetragen wurde, kann in ähnlicher Form auch Inhalt einer gewöhnlichen Ästhetik sein. Eine solche stößt an dieser Stelle auf eines ihrer zentralen Probleme: Wenn der eine ob der Beschaffenheit eines Gegenstandes Hedone empfindet, der andere aber nicht, ist der Gegenstand dann schön oder nicht? Man muss sich dann zwischen zwei gleichermaßen unbefriedigenden Lösungen entscheiden: Entweder man verneint die Objektivität von Schönheit und macht sie zu einer rein subjektiven Angelegenheit; oder aber man versucht die Objektivität beizubehalten, muss dann aber begründen, warum der Geschmack des einen mehr zählt als der des anderen.

In der solipsistischen Ästhetik hingegen löst sich dieses alte Dilemma in überraschend einfacher Weise auf, da im Solipsismus Objektivität und Subjektivität zusammenfallen. Es gibt schlicht nicht den einen und den anderen, die verschiedener Meinung über die Schönheit eines Gegenstandes sein können, sondern es gibt nur das eine Ich, dessen Urteil absolut ist. Was in meinem Gemüte Hedone allein ob seiner Beschaffenheit auslöst, das ist schön.

Für eine phänomenologische Ästhetik, welche die Frage „Was ist schön“ von ihrem zweiten Gesichtspunkt beleuchtet, wird es dann aber nötig zu entscheiden, wie diese Phänomenologie gehalten sein soll: Soll sie detailliert darlegen, was das konkrete Wesen, in dem das Ich beim Schreiben dieser Zeilen seinen Sitz hat, eben ich, für schön hält; oder einen allgemeineren Standpunkt einnehmen und nur Aussagen treffen, die auch dann noch Gültigkeit behielten, wenn das Ich in einem beliebigen menschlichen Wesen – Tiere ermangeln wohl eines ästhetischen Empfindens – seinen Sitz hätte? Wir wollen hier einen Mittelweg einschlagen. Was nun folgt, ist sicherlich von meinem eigenen ästhetischen Empfinden geprägt, doch wollen wir uns allzu spezifischer und spezieller Aussagen enthalten und eine gewisse Allgemeinheit der Darstellung bewahren.

Das Schöne lässt sich in verschiedenen Weisen kategorisieren; aus Gründen der Zweckmäßigkeit wollen wir es in unserer Darstellung in natürliches und menschengemachtes Schönes und innerhalb dieser Kategorien wiederum in seine verschiedenen Erscheinungsformen ordnen.

Beginnen wir mit dem natürlichen Schönen; dieses lässt sich wiederum untergliedern in Naturschönheit, menschliche Schönheit und die Schönheit abstrakter, zuvörderst mathematischer Entitäten, welche wir nacheinander betrachten wollen.

Bei den Erscheinungen der Natur, die allgemein als schön empfunden werden, ist die Herkunft des Schönheitsgefühls aus dem einfachen Guten nebst der menschlichen Schönheit wohl noch am sichtbarsten. So ist etwa klares Wasser in seinen verschiedenen Erscheinungsformen wie Gebirgsbächen, reinen Quellen, Wasserfällen und Ähnlichem schön, während schlammige Gewässer hässlich sind. Obwohl das Wasser der einen der Gesundheit zuträglich ist, der anderen ihr aber abträglich, handelt es sich dennoch bereits um ein reines, von Nützlichkeitserwägungen unabhängiges ästhetisches Empfinden, wenn die Quellen und Gebirgsbäche Hedone auslösen, was daraus ersichtlich ist, dass dazu auch Bilder von selbigen genügen. Ebenso verhält es sich mit lichtdurchfluteten Gefilden, anmutigen Hainen und Blumenwiesen, milden Gestaden und ähnlichen klassischen Bestandteilen des Locus amoenus: Sie sind allesamt schön und ihre Schönheit lässt sich darauf zurückführen, dass sie dem Wohlergehen des Ichs zuträglich sind. Auch die sehr allgemein gültige Regel, dass der Ausblick von einem hochgelegenen Punkt über eine Landschaft fast immer schön ist, lässt sich mit der Nützlichkeit der daraus erwachsenden Kenntnis erklären. Auf der anderen Seite können manchmal aber auch gerade raue und karge Landschaften eine ganz eigene Schönheit besitzen; vielleicht geht dies darauf zurück, dass sie dazu herausfordern, sich darin zu behaupten und den widrigen Elementen zu trotzen.

Andere schöne Erscheinungen der Natur allerdings lassen sich nicht so einfach deuten und es scheinen allgemeinere Prinzipien dabei zu wirken. So sind spektakuläre und ungewöhnliche Formen, wie sie sich in Berggipfeln, steil abfallenden Klippen, Schluchten, eigentümlichen Felsformationen oder Grotten zeigen, meistens schön. Ebenfalls entsteht Schönheit häufig durch intensive Farberscheinungen und das Spiel verschiedener Farben, wie sie in Sonnenuntergängen, Blumen, Bäumen, Gewässern oder dem Himmel auftreten. Hierin zeigt sich das Naturschöne als tiefgründiger als in den zuvor genannten Beispielen. Die Schönheit des Spiels von Farben und Formen scheint grundlegenderer Natur zu sein und ist auch in der bildenden Kunst von Bedeutung.

Was nun die menschliche Schönheit angeht, welche für das Zoon politikon, welches der Mensch ist, von nicht geringer Bedeutung ist, so können wir bei dieser wiederum eine enge Beziehung zum einfachen Guten erkennen: Einen Menschen macht schön, was als Anzeichen für Gesundheit, freundliches und edles Wesen, Klugheit, Stärke und Fortpflanzungsfähigkeit gesehen werden kann. Nicht ganz ohne Bewandtnis ist es darum, wenn die künstlerische Darstellung des menschlichen Körpers im alten Griechenland, welches die Göttin Hygieia sowohl als das Ideal der Kalokagathie verehrte, allgemein als eine der schönsten angesehen wird und in vielen Kunstepochen nachgeahmt wurde. Dennoch muss hier, mehr noch als anderswo, erneut betont werden, dass es eben nicht besagte Charakteristika sind, um deretwillen Hedone im Gemüte besteht, wenn wir einen schönen Menschen sehen: Das ästhetische Empfinden ist auch hier ganz rein und losgelöst. Dem steht es gar nicht im Wege, wenn zugleich ein auf der Beziehung zum Ich gegründetes Empfinden besteht, etwa erotischer oder storgischer Art, wodurch die Hedone womöglich noch größer ist; jedoch darf diese auch noch unter Fortdenkung jeglicher solchen Beziehung nicht völlig verschwinden.

Weit vom einfachen Guten entfernt und dementsprechend tiefgründig ist hingegen die Schönheit der mathematischen Entitäten, welche etwa mathematischen Resultaten und Beweisen, seltener auch mathematischen Objekten an sich zugesprochen wird. Als ein klassisches Beispiel für eine schöne mathematische Beziehung wird häufig die Eulersche Identität angegeben. Deren Schönheit beruht wesentlich darauf, dass sie zwei scheinbar gänzlich verschiedene Phänomene verknüpft, das exponentielle Anwachsen und die harmonische Oszillation, und diese Verknüpfung leistet vermittelst der imaginären Einheit, welche selbst eine erstaunliche, sich dem Verstande ganz und gar nicht aufdrängende Entität darstellt. Dieser Zusammenhang gilt ganz allgemein: Ein Satz, der in unerwarteter Weise entfernt liegende Bereiche der Mathematik verbindet, ist in der Regel schön. Neben der Eulerschen Identität sind Beispiele hierfür der Hauptsatz der Differentialrechnung, das Theorema egregium, der Residuensatz, die Beziehung von Zahlentheorie und komplexer Analysis vermittelst der Zetafunktion oder das Noethersche Theorem. In anderen Fällen ist es nicht so sehr die Verbindung auf den ersten Blick unabhängiger Bereiche, die einen Satz schön macht, sondern die überraschende Größe seines Gültigkeitsbereichs. So ist etwa der Zentrale Grenzwertsatz schön, weil er nur sehr allgemeine Bedingungen an die einzelnen Zufallsvariablen stellt und dennoch eine überaus starke Aussage über die Verteilung von deren Summe trifft. Ähnliches gilt beispielsweise für viele Lehrsätze der elementaren Geometrie wie die Sätze des Thales und Pythagoras, den Spektralsatz oder den Fundamentalsatz der Algebra.

Gemeinsam haben beide Arten der mathematischen Schönheit die entscheidende Rolle, die das Erstaunen dabei spielt, entweder über die Verknüpfung scheinbar unzusammenhängender Gebiete oder über die Allgemeinheit und Stärke einer Aussage. Eine gewisse Bedeutung besitzt der Aspekt des Erstaunens auch für die Schönheit mathematischer Beweise, jedoch steht hier eher etwas anderes im Vordergrund, nämlich die Architektonik eines Beweises. Ein ästhetisches Empfinden löst ein Beweis aus, wenn seine Elemente sich in kunstvoller Weise gegenseitig tragen und keines dabei entbehrlich ist. Ein klassisches Beispiel ist der euklidische Beweis der unendlichen Anzahl an Primzahlen.

Mathematischen Gegenständen an sich lässt sich weit seltener Schönheit zusprechen; wenn doch, so sind es oft geometrische Objekte wie etwa die platonischen Körper oder Fraktale, und es besteht eine gewisse Nähe zur sinnlichen Schönheit.

Soviel zur natürlichen Schönheit; nun wollen wir die menschengemachte betrachten. Die Sphäre des menschengemachten Schönen überlappt zu großen Teilen mit derjenigen der Kunst, ist mit ihr jedoch nicht gänzlich deckungsgleich. Denn einerseits gibt es schöne Gebrauchsgegenstände, welche man nicht so recht zur Kunst zählen kann; und andererseits werden auch immer wieder Kunstwerke von hohem Wert geschaffen, die ganz bewusst nicht schön oder sogar hässlich sind. Auf die Kunst scheint eher zu passen, was wir als Definition für die Schönheit verworfen hatten: Ein Kunstwerk ist ein Gegenstand, der bewusst dazu geschaffen wurde, in seiner Beschaffenheit ganz heterogen zu den gewöhnlichen Gegenständen in der Welt zu sein, und der nicht zuvörderst praktischen Zwecken dient, sondern um seiner selbst willen geschaffen wurde.

Auch wenn Kunst und menschengemachte Schönheit also nicht genau das Gleiche sind, wollen wir aus praktischen Gründen unsere Darstellung der letzteren nach den drei großen Teilgebieten ordnen, in welche traditionell die Kunst untergliedert wird: bildende Kunst, Literatur und Musik. Einige kleinere Künste, die unter den Begriffen der darstellenden und Aktionskunst zusammengefasst werden können, werden wir somit nicht behandeln. Es ließe sich auch fragen, ob die Handwerke, deren Erzeugnisse nicht den Seh- und Hörsinn sowie den Verstand ansprechen, sondern den Geschmacks- und Geruchssinn, denn nicht ebenfalls unter die Künste gezählt werden sollten: Wiewohl dies bisweilen geschieht, wollen wir es hier anders halten; denn es durchaus zweifelhaft, ob diese die Definition des Schönen oder aber des Künstlerischen erfüllen; was wohl darin begründet liegt, dass diese Sinne beim Menschen nicht so hoch entwickelt sind wie Seh- und Hörsinn.

Beginnen wir also mit der bildenden Kunst. Voranschicken müssen wir dieser Betrachtung, dass diese von allen drei großen Gebieten der Kunst das Gemüt am wenigsten stark affiziert. Es ist kaum denkbar, dass jemand von der Schönheit einer Skulptur oder eines Gemäldes zu Tränen gerührt wird; sehr wohl aber sind die Musik und die Literatur dazu in der Lage. Deshalb ist die bildende Kunst unter diesen dreien am geringsten zu schätzen; was aber nicht heißen soll, dass sie gering zu schätzen sei. Sie muss im Vergleich zu Musik und Literatur zwar zurückstehen, hat aber dennoch Werke von großem Wert und größer Schönheit hervorgebracht.

Die bildende Kunst, welche sich der Schönheit verschrieben hat – und von dieser handeln wir gemäß dem Thema dieser Schrift –, schöpft zuvörderst aus zwei Quellen, einerseits dem Naturschönen und der menschlichen Schönheit, und andererseits allgemeinen geometrischen Formen und Farbwirkungen, wobei die geometrischen Formen sich auch dem mathematischen Schönen zuordnen lassen. Während sich die natürliche Schönheit, wie wir oben sahen, zumindest in Teilen ansatzweise verstehen lässt, behält dabei die Schönheit der Form und der Farbe eine gewisse Rätselhaftigkeit und es fällt schwer, allgemeine Regeln anzugeben, welche Formen und Farben denn nun schön sind. Bisweilen drückt ein Kunstwerk der bildenden Kunst zusätzlich auch einen schönen Gedanken aus; das Reich der schönen abstrakten Ideen tritt dann als dritte Quelle hinzu.

Die natürliche Schönheit zum Vorbild zu nehmen und auf deren Grundlage Kunstwerke zu schaffen ist naheliegend und dementsprechend ein seit Anbeginn der Kunst verfolgtes Vorgehen, denn die Natur bietet, wie wir oben sahen, eine große Vielfalt berückender Schönheit. Jedoch eine bloße Nachahmung und Reproduktion des Naturschönen befriedigt nicht so recht: Von einem Kunstwerk erwartet man mehr als das, könnte man sonst schließlich auch gleich die Natur anschauen. Der traditionelle Ansatz erreicht dieses Mehr vermittelst einer Idealisierung: Was in der Natur an Schönem nur hie und da und häufig unvollkommen, das ist nicht den höchsten möglichen Grad der Schönheit erreichend auftritt, wird gezielt zusammengestellt und vervollkommnet. Dieser Ansatz kann wohl als der vorherrschende in vielen Kunstepochen von der antiken Kunst über die Renaissance und den Barock bis hin zu Klassizismus und Romantik angesehen werden. Erst in der modernen Kunst wird die natürliche Erscheinung der Dinge im Kunstwerk einer gezielten Modifikation unterworfen, etwa im Impressionismus und Expressionismus; die Schönheit dieser Werke beruht zu einem bedeutenden Teil auf der neuen und andersartigen Sicht auf wohlbekannte Dinge, die sie dem Betrachter gewähren. Noch weiter gehen Stilrichtungen wie etwa Kubismus oder Surrealismus, welche das natürliche Schöne allenfalls noch als Ausgangsmaterial verwenden. Hier wird dann, wie überhaupt in der neueren Kunst, die zweite Quelle, nämlich die schönen abstrakten Formen und die schönen Farbbeziehungen an sich, umso wichtiger. Aus dieser wurde tatsächlich jedoch ebenfalls schon seit Beginn der bildenden Kunst und auch in älteren Epochen, etwa in der Ornamentalkunst, geschöpft. Auch Werke, die hauptsächlich die natürliche Schönheit verwenden, stehen in ihrer Komposition oft bis zu einem gewissen Grade unter dem Einfluss der schönen Form. Für die Architektur stellte sie sogar schon immer fast die alleinige Quelle dar. In direkte Konkurrenz treten beide Quellen auf dem Gebiet der Gartenbaukunst, wo der französische Garten aus der Schönheit der abstrakten Form, der englische Garten aber aus der natürlichen Schönheit schöpft. Von den schönen Gedanken hingegen wird in der bildenden Kunst seltener Gebrauch gemacht, in der neueren Kunst aber weit häufiger noch als in der älteren. Zwar gibt es viele Kunstwerke, zumal auch in der älteren Kunst, die einen Gedanken ausdrücken; jedoch häufig sind es eher triviale Gedanken, welche kaum ästhetisches Empfinden auszulösen vermögen.

Wenden wir uns nun der Literatur zu, welche die Kunst der Sprache darstellt. Dass die Sprache für das Funktionieren der menschlichen Gesellschaft ganz wesentlich ist, stellt wohl den Schlüssel für die Rückführung des literarischen Schönen auf das einfache Gute dar. So beruht die menschliche Leidenschaft für Erzählungen vermutlich auf dem allgemeinen Nutzen, der sich aus dem Erhalt von Informationen ziehen lässt. In machen Fällen, so oft in der Poesie, lässt sich die Schönheit von Literatur aber auch dadurch erklären, dass Naturschönheit evoziert wird. Jedenfalls ist, wie bei allem Schönen, eine völlige Verselbstständigung eingetreten und die Literatur vermag reines ästhetisches Empfinden hervorzurufen.

Auf Aristoteles geht die durchaus nützliche Unterteilung aller Literatur in Epik, Dramatik und Lyrik zurück, wobei es auch Zwischenformen wie die Ballade oder das epische Theater gibt; daneben lässt sie sich in Tragik (worunter wir hier im weiteren Sinne allgemein ernste Literatur verstehen wollen), Komik und Tragikomik kategorisieren; sowie gemäß der Sprachform in Prosa und Vers.

Die literarische Schönheit an sich hingegen lässt sich ihrem Wesen nach folgendermaßen einteilen: in die Sprachschönheit, die wiederum zerfällt in die Schönheit des Sprachklangs, welche der musikalischen Schönheit bereits nahesteht, einerseits und andererseits diejenige des Ausdrucks; die evozierende Schönheit, welche die Vorstellung anderer Arten von Schönheit im Verstande hervorzurufen vermag, zuvörderst des Naturschönen; die Schönheit des Gedankens, der in einem literarischen Werk ausgedrückt wird, welche hier viel bedeutender ist als in der bildenden Kunst; die Schönheit der Gemütsregung, worunter etwa zu verstehen sei die erhabene Stimmung, die ein tragisches Werk, oder die Heiterkeit, die ein komisches hervorruft; und schließlich die Schönheit der Handlung, welche bei großen Werken zerfällt in die Handlung der einzelnen Szene und die Architektonik des Werkes in seiner Gesamtheit. Die literarische Schönheit zeigt sich somit in Hinsicht auf die Art ihrer Wirkung als die wohl vielfältigste.

Die Schönheit der Sprache an sich ist die elementarste Form der literarischen Schönheit. Sie tritt in allen drei Literaturgattungen auf, wie etwa die Epik Homers, die Dramatik Goethes oder die Lyrik Rilkes, die alle von großer Sprachschönheit sind, beweisen. Dennoch ist es die Lyrik, welche sich am meisten darin auszeichnet und wo sie häufig die zentrale Quelle der Schönheit eines Werkes darstellt, während sie in Epik und Dramatik in der Regel nur Beigabe ist. Unter den beiden Arten der sprachlichen Schönheit ist diejenige des Sprachklangs die noch elementarere; sie ist die einzige, bei der es nicht die vom konkreten Laut abstrahierte Bedeutung ist, auf der die Schönheit beruht, sondern eben auf diesem selbst. Klassische Beispiele sind Reim, Assonanz, Alliteration, Paronomasie, Metrum und Rhythmus allgemein. Sehr viel häufiger sind sie im Vers als in der Prosa anzutreffen.

Die Schönheit des sprachlichen Ausdrucks, wiewohl sie mit diesem wechselwirkt, abstrahiert bereits vom bloßen Klang. Sie besteht in der kunstvollen Auswahl und Zusammenstellung von Worten, im Ausdrücken gewöhnlicher Dinge in gänzlich ungewöhnlicher Weise. Die meisten Sprachen bewahren ein Register von Wörtern und Ausdrucksformen, die in der gewöhnlichen Rede fast nie zur Anwendung kommen und dadurch in der Literatur zur Erzielung von Schönheit des Ausdrucks zur Verfügung stehen, im Deutschen beispielsweise Wörter wie „Gestade“ und „Antlitz“; jedoch lässt sich auch mit ganz gewöhnlichen Worten ein ungewöhnlicher und schöner Ausdruck erreichen. Auch in der Struktur des Satzes und der Periode besteht oft Schönheit, die etwa vermittelst Anapher, Epipher, Parallelismus, Chiasmus, Klimax, Antithese und anderen Figuren erzielt wird.

Die Sprachschönheit als grundlegendste Form der literarischen Schönheit steht mit allen anderen Formen in enger Beziehung. Als Beispiel diene hier die berühmte „rosenfingrige Morgenröte“ Homers. Zweifellos ist „rosenfingrig“ ein besonderer und schöner sprachlicher Ausdruck; jedoch findet sich darin auch eine Schönheit der Idee, nämlich der Gedanke, die Morgenröte mit Fingern von der Farbe von Rosenblüten zu vergleichen; und schließlich evoziert der Begriff in gelungener Weise das naturschöne Phänomen des Sonnenaufgangs. Derart vielschichtig zeigt sich ein einzelnes Wort.

Mehr noch als die Sprachschönheit ist die evozierende Schönheit charakteristisch für die Lyrik. Zwar kommt sie auch in der Epik und sehr selten in der Dramatik vor, jedoch sind es gerade solche evozierenden Passagen in einem epischen Werk, die sich als lyrische Einlagen betrachten lassen. Zurückführen lässt sie sich auf die Naturschönheit oder die menschliche Schönheit, was in der Natur- beziehungsweise Liebeslyrik der Fall ist. Man könnte auch fragen, ob es noch die Beschaffenheit eines evozierenden Textes an sich ist, die Hedone auslöst, und nicht vielmehr seine Beziehung zum Ich, dass er die Vorstellung von Schönem hervorruft, er also überhaupt als schön angesehen werden kann; indes hat diese Beziehung zwar durchaus einen gewissen Anteil, jedoch überträgt sich die Schönheit des evozierten Schönen auch auf den evozierenden Text selbst; sodass wir ihn zu Recht als schön eingeordnet haben.

Die Schönheit des Gedankens kommt in allen Literaturgattungen vor, und sie kann auf allen Ebenen eines Werkes vertreten sein; so etwa wenn ein dramatisches oder episches Werk in seiner Gesamtheit große Fragen verhandelt oder aber wenn ein einzelnes Wort wie „rosenfingrig“ einen schönen Gedanken ausdrückt. In diese Kategorie fallen auch die gelehrten Exkurse mancher Romane, etwa von Thomas Mann, oder literarische Essays, welche im Idealfall eine Ansammlung schönen Gedankenguts darstellen. Was einen Gedanken schön macht, ist dabei schwer in eine allgemeine Regel zu fassen; jedoch es bestehen ähnliche Kriterien wie bei der mathematischen Schönheit: Neben der Wahrheit als notwendiger Bedingung sind typische Charakteristika eines solchen schönen Gedankens, dass er einen tiefgründigen neuen Blick auf die Dinge zu geben oder verschiedene Bereiche in überraschender Weise zu verbinden vermag.

In Bezug auf die Schönheit der Gemütsregung lassen sich ähnliche Einwände erheben wie bei der evozierenden Schönheit, nämlich dass ein Werk nur vermittelst dieser Gemütsregung und nicht durch seine Beschaffenheit Hedone auslöse; diese sind nicht ganz unberechtigt, jedoch gilt auch hier, dass zumindest zum Teil diese indirekt ausgelöste Hedone auf die Beschaffenheit zurückspringt, das ist was durch die Gemütsregung Hedone erzeugt, dessen Beschaffenheit an sich gefällt auch eben deshalb. Die Schönheit der Gemütsregung findet sich zuvörderst in der Dramatik und Epik, zuweilen auch in der Lyrik, vor allem der Liebeslyrik; traditionell ist diese Art der Schönheit in der Dramatik sogar die Hauptsache. An Arten der Gemütsregung sind unter anderem zu nennen die Gefühle der Traurigkeit, des Mitleids, allgemeiner des Mitempfindens, aber auch der Erhabenheit, die ein tragisches Werk auslöst; die Heiterkeit eines komischen; und schließlich das eigentümliche, keine rechte Bezeichnung besitzende Gefühl, welches tragikomische Werke hervorrufen. Man könnte natürlich fragen, wie etwa ein trauriges Gefühl Hedone auslösen könne; die Antwort darauf gibt Ovid, wenn er sagt, dass auch im Weinen eine gewisse Lust liege.

Die Schönheit der Handlung ist naturgemäß ausschließlich in der Dramatik und Epik anzutreffen und nicht in der Lyrik; allenfalls noch in der Ballade, welche eigentlich der Epik näher als der Lyrik steht. Die beiden Arten der schönen Handlung, die globale und lokale, sind vergleichbar der Strategie und Taktik im Schachspiel: Erstere entspricht dem ästhetischen Empfinden ob der kunstvollen Komposition der gesamten Handlung, in welcher nichts zu viel und nichts zu wenig ist und worin jedes Element seinen Platz hat; womit sie der Schönheit des mathematischen Beweises verwandt ist. Letztere hingegen drückt sich aus in der gelungenen Gestaltung der einzelnen Szene, in den Wendungen des Geschehens und dem Spiel der Figuren. Diese kommt in fast aller Dramatik und Epik vor; jene hingegen meist nur in kompakten Gattungen wie der Novelle, der Erzählung und dem aristotelischen Drama, nicht in langen Romanen mit ausufernder Handlung; wiewohl es auch Ausnahmen von dieser Regel gibt.

Wir wollen noch einige Bemerkungen zur Dimension der Ernstheit, das ist zu Tragik, Komik und Tragikomik machen. Welcher dieser Kategorien ein Werk oder ein Abschnitt eines Werkes angehört, ist von entscheidender Bedeutung für dessen Wirkung auf das Gemüt. Der größte Teil der Literatur gehört der Tragik an, welche zerfällt in die Tragik im engeren Sinne, die durch das Auftreten von traurigen oder tragischen Ereignissen und Konflikten charakterisiert ist; und die neutrale Tragik, die davon frei ist, jedoch ebenso von jeder Art von Komik. Zu letzterer gehört etwa der Großteil der Lyrik. Aller Tragik ist gemein, dass sie in ihrer Grundhaltung die Wirklichkeit ernst nimmt; wodurch sie große Schönheit zu erzielen vermag, jedoch auch Gefahr läuft, mit der Absurdität der Wirklichkeit in Konflikt zu geraten. Gegenüber dieser Absurdität nimmt die Komik die entgegengesetzte Position ein, indem sie sie ganz bewusst sichtbar macht und auf die Spitze treibt. Entgegen einer weit verbreiteten Meinung muss die Komik dabei der Tragik an Schönheit in nichts nachstehen: Ein kunstvoll gestalteter Witz ist nicht notwendigerweise weniger schön als ein ernstes Sonett, eine meisterhafte Komödie nicht weniger schön als eine Tragödie. Allerdings läuft die Komik auch eher als die Tragik Gefahr, ins Seichte und Platte abzugleiten. Am besten und vorzüglichsten von allen dreien aber ist die Tragikomik; nicht nur weil sie die Nachteile der beiden anderen Gattungen vermeidet, sondern auch weil es größter Meisterschaft bedarf, ein Werk beständig auf dem schmalen Grat zwischen Tragik und Komik zu halten, wie es in vollendeter Form beispielsweise in den Erzählungen Kleists und Kafkas geschieht. Dass solche tragikomischen Werke zu den schönsten gehören, liegt außer diesen Gründen wohl auch daran, dass sie das Empfinden, welches das Leben in der Welt hervorruft, am besten widerspiegeln: Über deren Absurdität man immerfort lachen könnte und zugleich immerfort weinen über das Leiden darin.

Die Musik schließlich ist wohl die wundersamste der Künste und das musikalische Schöne das wundersamste Schöne. Die Rückführung auf das einfache Gute fällt hier unter allem Schönen wohl am schwersten. Es mag zwar eine immanente Erklärung dafür geben, warum gewisse Töne Hedone im Gemüte erzeugen; doch ist sie in jedem Fall weit weniger offensichtlich als in vielen anderen Fällen und damit nicht so sehr fühlbar wie beispielsweise die Beziehung des Naturschönen zum körperlichen Wohlergehen. Eine bemerkenswerte Eigentümlichkeit der Musik ist weiterhin das Auseinanderfallen des musikalischen Werkes in abstracto, welches allein der Komponist schafft, und seiner Realisierung in tatsächlich erklingenden Tönen. Das Werk in abstracto besteht in der Abfolge von Noten und Akkorden von Noten, welche zuvörderst charakterisiert sind durch Tonhöhe und Tonlänge; sekundär besteht es auch aus Angaben zu Instrumentierung, Lautstärke, Tempo, Dynamik und Ähnlichem. Die Notenfolge und anderen Parameter lassen sich leicht in Zahlen übersetzen; sodass ein Musikstück in abstracto als ein mathematisches Objekt angesehen werden kann. Wie wir sahen, kann mathematischen Objekten durchaus Schönheit zukommen; jedoch ist das bei musikalischen Werken in abstracto allenfalls in geringem Maße der Fall. Deren mathematische Struktur ist meist zu simpel und frei von tieferen Zusammenhängen, um ästhetisches Empfinden auszulösen; am ehesten trifft dies noch bei ausgesprochen mathematischen Musikstilen wie der barocken, zuvörderst Bachschen Musik oder der Dodekaphonie zu. Indes in real erklingenden oder vorgestellten Tönen verwirklicht besitzt das gelungene Musikstück eine damit gar nicht vergleichbare, ungeheure Schönheit. Das Hören der Töne oder die dazu homöophäne Erscheinung, ihre Vorstellung im Verstande, ist für das ästhetische Empfinden unerlässlich; und doch war schon alles, was das Werk ausmacht, in seiner abstrakten Form angelegt. Ansatzweise lässt sich ein solches Verhältnis noch im Auseinanderfallen eines dramatischen Werkes in abstracto und seiner Darstellung auf der Bühne wiederfinden. Jedoch ist hier schon das Werk in abstracto schön, und die Aufführung sorgt nur für eine Steigerung dieser Schönheit.

Wesentlich für die Schönheit eines musikalischen Werkes ist die harmonische Beziehung der Töne darin untereinander, das ist der Charakter ihrer Frequenzbeziehung, dargestellt als Bruchzahl. Das gilt für tonale wie atonale Musik; die atonale Musik verzichtet nur darauf, die Komposition einem auf den harmonischen Beziehungen beruhenden strengen Regelwerk zu unterwerfen, worin sich jeder Ton durch seine Beziehung zu einem tonalen Zentrum ausweisen muss. Beide haben dabei Für und Wider und stehen gleichberechtigt nebeneinander. Der Nachteil der tonalen Musik ist, dass sie ärmer an Formen ist, der atonalen, dass sie die zentrale Rolle, welche die harmonische Beziehung für das Hören spielt, nicht vollumfänglich berücksichtigt. Vielleicht ist darum zur Erzielung von Schönheit ein Mittelweg am besten geeignet, eine Musik an der Grenze zur Tonalität; doch wollen wir dazu nicht allgemein urteilen. Die entscheidende Bedeutung der Frequenzbeziehung jedenfalls sowohl für die Wirkung der Harmonik, das ist der gleichzeitig erklingenden, als auch für die Melodik, das ist der aufeinanderfolgenden Töne, ist leicht ersichtlich; ebenso wie einige grundlegende Regeln, etwa dass Töne umso dissonanter zueinander klingen, je weniger elementar ihr Frequenzverhältnis ist. Dennoch bleibt die Wirkung der Tonbeziehungen auf das Gemüt in weiten Teilen rätselhaft; es fällt ungemein schwierig anzugeben, was die eine Melodie schön macht und die andere nicht, oder den Eindruck zu erklären, ja nur zu beschreiben, den verschiedene Akkorde im Gemüte erzeugen. Mehr noch als bei anderen rätselhaften Erscheinungen des Schönen, auf die wir bisher trafen, befinden wir uns hier in einem Zustand der Aporie.

Der Einfluss des Rhythmus und der Lautstärke, aber auch der durch die Instrumentierung beeinflussten und auf der Obertonzusammensetzung beruhenden Klangfarbe auf die Wirkung von Musik ist nicht unerheblich, jedoch gegenüber den Tonbeziehungen sekundär. Der grundlegende Charakter eines Stücks für Cembalo ändert sich nicht, wenn es auf dem Klavier gespielt wird oder gar mit reinen Sinustönen; wiewohl natürlich durchaus eine gewisse Modifikation des Eindrucks entsteht. Viel eher gilt das noch für den Rhythmus, welcher auch auf den eigentlichen Charakter eines Werkes Einfluss besitzt. Es gibt freilich auch Werke, die ausschließlich oder zuvörderst Rhythmus sind, doch geht diesen etwas Wesentliches ab und sie können kaum die Schönheit eines Werkes mit Tönen unterschiedlicher Frequenz erreichen.

Tonbeziehungen, Rhythmus, Instrumentierung und so fort sind gewissermaßen lokale Aspekte eines musikalischen Werkes; daneben erweist sich seine Wirkung natürlich auch auf höheren Ebenen, in seiner Struktur, Entwicklung und Architektonik. In Abgrenzung zu anderen Arten des Schönen ist hierbei für die Musik charakteristisch das Spiel und das immerwährende Spannungsverhältnis von Ordnung und Unordnung, von Einfachem und Komplexem, von Wiederkehr des Gleichen und Auftreten des Neuen. Denn das Gehör liebt die Anamnesis, das Wiedererkennen des zuvor Gehörten; aber zugleich liebt es das Neue, das Andere, und wird allzu schnell vom immer Gleichen gelangweilt. Man kann wohl fast sagen, dass sich alle Musik zwischen diesen beiden Polen einordnen lässt, von der Popularmusik mit ihrer einfachen und strengen Ordnung zur höchst komplexen modernen Kunstmusik. Was nun gerade das ideale Maß an Ordnung sei, hängt stark von der Disposition des Ichs ab; von seiner Musikalität und Hörfähigkeit, aber ganz besonders auch von seiner bisherigen Hörerfahrung. So mag es etwa bei Werken nahe des Pols der hohen Komplexität bisweilen mehrmaligen Hörens bedürfen, bis deren Beschaffenheit Hedone auslöst, dann aber umso größere. Schwer haben es nur wie so oft die Extreme, eine sich schon dem Trivialen nähernde Popularmusik und eine in ihrer Komplexität das Beliebige streifende Kunstmusik; was jedoch nicht notwendigerweise verhindert, dass sie schön sind, da für die Schönheit eben auch die oben behandelten lokalen Aspekte von Musik bedeutend sind.

Jedenfalls wurden als Antwort auf den so zentralen Konflikt von Ordnung und Unordnung verschiedenste Formen und Techniken entwickelt, etwa die Variation, die thematische Durchführung oder die Fugentechnik. Gerade letztere und der barocke Stil allgemein, deren Repräsentanten par excellence sie darstellt, geben, wie nebenbei bemerkt sei, eine bemerkenswerte und wundersame Antwort, indem die danach geschaffene Musik sich fortwährend in mannigfaltigster Weise aus den gleichen Grundformen erneuert, immer dasselbe und doch immer ein Anderes bringt. So sind denn auch einige der schönsten Werke Fugen, etwa Beethovens Große Fuge für Streichquartett, die zugleich durch ihre so reiche Harmonik besticht, oder einige der Fugen aus dem Wohltemperierten Klavier. Selbst die gänzlich atonale Musik konnte sich dem Problem der Ordnung nicht entziehen und hat darauf beispielsweise mit der Entwicklung der Serientechnik geantwortet. Wiewohl hier zu berücksichtigen ist, dass nicht jede Ordnung, die in einem musikalischen Werk in abstracto besteht, sich notwendigerweise vollständig auf das Werk in concreto überträgt.

Schließlich besitzt die Wirkung von Musik noch, ähnlich zur Literatur, gewisse außermusikalische Aspekte, nämlich die Evozierung von nicht musikalischer, vornehmlich natürlicher Schönheit einerseits und andererseits ihr Hervorrufen von Gemütsregungen. Erstere ist anders als im Falle der Literatur nur schwach ausgeprägt: Es sind überhaupt nur wenige Werke, die sich zum Ziel setzen, außermusikalische Realität zu evozieren, und selbst bei diesen ist es immer nur möglich und nicht zwingend, sich beim Hören diese Realität vorzustellen, etwa einen Locus amoenus beim Hören einer Pastoralmusik. Umso mächtiger aber sind die Gemütsregungen, die die Musik hervorzurufen vermag; diese sind von bemerkenswerter Vielfalt und können in so verschiedenartigen Gefühlen wie Ausgelassenheit, Erhabenheit, Heiterkeit, Freude, Sehnsucht, Melancholie, Aufgewühltheit, Traurigkeit und seltsamsten Mischungen daraus bestehen. Was oben in Bezug auf die Literatur über die Gemütsregungen gesagt wurde, gilt hier analog, insbesondere dass das Empfinden von Traurigkeit oder Melancholie, welche ein Werk beim Hören hervorrufen mag, in scheinbar paradoxer Weise der dabei empfundenen Hedone und damit seiner Schönheit gar nicht abträglich ist; ja es ist vielleicht sogar unter den schönsten Werken die Mehrzahl traurigen oder aufwühlenden Charakters. Die Gemütsregungen, die Literatur und Musik hervorrufen, stehen einander in Vielfalt und Stärke wohl kaum nach. Der Musik ist jedoch eigentümlich, dass der Art und Weise, in welcher sie Gemütsregungen hervorruft, etwas Rätselhaftes anhaftet: Denn anders als im Falle der Literatur sind es schließlich nichts weiter als harmonische Beziehungen zwischen Tönen, das ist Frequenzverhältnisse, welche die tiefgreifendste Wirkung auf das Gemüt haben. Schon allein die Betrachtung des einfachsten und wohlbekanntesten Problems dieser Art, nämlich dass die bloße Ersetzung einer großen durch eine kleine Terz im Dreiklang dessen Wirkung auf das Gemüt fundamental verändert, regt zu immer neuem Staunen an. Erneut finden wir uns in Aporie wieder.

Soviel zur Phänomenologie des Schönen. An das Ende dieser Schrift seien noch einige Überlegungen allgemeineren Charakters gestellt.

Aristoteles soll auf die Frage, warum wir mit schönen Menschen so gerne Umgang pflegen, geantwortet haben, dass nur ein Blinder so fragen könne. Ebenso könnte man auf die Frage, warum wir gerne schöne Musik hören, erwidern, dass nur ein Tauber, oder auf die Frage, warum wir uns gerne mit schöner Mathematik befassen, dass nur ein mathematisch Ungebildeter so fragen könne. Trotz der Schlagfertigkeit einer solchen Erwiderung kommt darin auch eine gewisse Ratlosigkeit dem Schönen gegenüber zum Ausdruck. Es fällt ungemein schwer zu erklären, warum uns das Schöne in der Welt gefällt, obgleich es keinerlei Beziehung zum Ich besitzt oder zumindest nicht zu besitzen braucht. Natürlich wird es letztlich auch Mühe machen anzugeben, warum wir uns zum einfachen Guten hingezogen fühlen; indes die vom Verhältnis zum Ich unabhängige, absolute Hedone des Schönen ist noch einmal ungleich staunenswerter. Dabei ist das Konzept der absoluten Hedone und damit der Schönheit selbst, wenn man denn ganz streng sein wollte, eigentlich ein Ideal; jedoch kommt eine beträchtliche Zahl an Dingen in der Welt, und das ist das Überraschende und ganz und gar nicht Selbstverständliche, diesem Ideal derart nahe, dass man sie in einer pragmatischen Sichtweise als vollends schön betrachten kann, wie wir es in dieser Schrift durchweg gehalten haben.

Das weist dem Schönen eine besondere Rolle im menschlichen Leben und in seinem Streben nach Eudämonie zu: Denn die Beziehungen zwischen dem Ich und den Dingen in der Welt, welche für die gewöhnliche Hedone zentral sind, wandeln sich schnell; jedoch die Beschaffenheiten der Dinge, auf denen im Gegensatz dazu die ästhetische Hedone allein beruht, sind weitaus beständiger und im Falle des immateriellen, das ist des mathematischen, literarischen und musikalischen Schönen, sogar unveränderlich. Ist alles andere verloren und ins Unglück gestürzt, so bleibt immer noch als letzter Trost die Freude über das Schöne.

Schließlich verknüpft der absolute Charakter der ästhetischen Hedone diese, wie im Zuge unserer Ausführungen immer wieder zum Ausdruck kam, mit einem Gefühl der Ehrfurcht und des Staunens. Nichts dergleichen kommt der gewöhnlichen Hedone zu.

Darum und weil seine Existenz so wenig selbstverständlich ist, verdient das Schöne, wie ein unverhofft gefundener Schatz angesehen zu werden; und wer es erschafft, leistet vielleicht einen der größten Dienste. Es lässt sich wohl eine Wirklichkeit ohne Schönes denken, die dennoch glücklich ist; jedoch wer in unserer tatsächlichen Wirklichkeit gelebt hat, erschrickt bei dem Gedanken an eine Welt ohne Schönheit: Um nichts wollte er diese wundersame Erscheinung, die Quelle von Freude, Glück, Trost, Ehrfurcht und Staunen zugleich ist, verlieren.